«Meine Kunstfigur lebt, weil sie nicht ernst ist»

Als «Aditotoro» bringt Adrian Vogt, 22, im Internet Millionen zum Lachen. Wie funktioniert diese neue Unterhaltungswelt? Was braucht es, um erfolgreich zu sein? Und wie lukrativ ist das Geschäft mit Social Media? Der Comedy-Star klärt auf.

Veröffentlicht im WW Magazin, Mai / Juni 2021.

Bild: ZVg.

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Adrian Vogt ist der Schweizer Online-Star der Stunde, eine Unterhaltungsmaschine, eine Art Jukebox der Neuzeit. Auf Social Media begeistert er, indem er Ukulele spielt, singt und tanzt. Mal erzählt er vor dem Computer flache Österreicherwitze, mal filmt er sich in der Natur, wo er über die Vorzüge der Schweiz spricht, dazu Löwenzahn oder Schneeblöcke isst.

Seine Clips sind skurril, schnell, überraschend. Mit Andri Ragettli forderte der 22-Jährige unlängst einen Freestyle-Profisportler zu einem Saltowettbewerb heraus: Multitalent Vogt verlor knapp, gewann aber an Reichweite. Im Internet folgen dem Youtuber, womit er 2016 begann, Hunderttausende, auf der Video-Plattform Tiktok begeistert er sogar Millionen.

Im September 2020 gewann «Aditotoro», wie er sich als Künstler nennt, den Swiss Comedy Award in der Kategorie Online. Heute treffen wir ihn in Zürich. Der in Basellandschaft aufgewachsene Comedian trägt Schnauz und Pilzfrisur, seinen Kleiderstil beschreibt er als Mischung aus «Brockenstube, Streetwear und 80er Jahre». Die Sonne blendet, ein Markenzeichen hat Aditotoro zu Hause vergessen: eine «nice» Sonnenbrille.

Sagen Sie, Herr Vogt, was bedeutet eigentlich «Aditotoro», Ihr Künstlername?

Das ist total random, so hiess ich auf Snapchat. Warum, weiss ich nicht. Ich gab Adi ein, dann kamen automatische Vorschläge, unter anderem Aditotoro. That's it. 

Sie zählen heute zu den erfolgreichsten Internetstars der Schweiz. Wie haben Millionen Follower Sie verändert? Menschlich, seelisch. 

Seit achtzehn habe ich mich enorm entwickelt, generell. Youtube gab mir Selbstvertrauen fürs Leben. Ich fand mich selber, meinen Style, meine Skills. Ich kann irgendwie sein, wie ich bin. Ich mache, auf was ich Lust habe.

Gab es ein Video, das entscheidend war für Ihren Durchbruch?

Den fetten Durchbruch gab es nie, ich wuchs stetig: Ein Video, das vor fünf Jahren zog, bekam 5 000 Aufrufe – da hatte ich etwa 1000 Abos auf Youtube. Vor einem Jahr, während der Quarantänezeit, gab mir der Corona-Song einen Boost, 600 000 Aufrufe. Und dann schlug Tiktok ein, jeder sah meine Videos. Seither ist es ein übler Hype.

Diese Influencer-Welt ist speziell: Was schätzen Sie an Menschen aus der Internet-Szene?

Wir haben das gleiche Hobby, die gleichen Probleme – mit Videos, Ideenfinden, Kreativ­sein. Ich glaube, wir ticken ähnlich; wir könnten uns treffen, ohne uns je gesehen zu haben, und es würde funktionieren.

Was eint euch?

Ich habe das Gefühl, alle, die auf Social Media erfolgreich sind, waren in der Schule nie die Coolsten, sondern eher so im Mittelfeld. Vielleicht ist es das, was uns den Drive gibt, um erfolgreiche Projekte anzuziehen.

Welchen Influencer finden Sie cool?

Logan Paul, mein Vorbild, ein amerikanischer Influencer. Crazy, was er erreicht hat.

Wen oder was finden Sie überbewertet?

Dieses ganze Frauen-Schminke-Zeug, damit kann ich nichts anfangen. Oder wenn sich Influencer zu ernst nehmen und sich schnell angegriffen fühlen.

Was unterscheidet ein gutes Video von einem sehr guten Video?

Ein sehr gutes Video hat es vorher noch nicht gegeben. Mein Corona-Song zum Beispiel, ein Mani-Matter-Song auf Schweizerdeutsch über Corona. Das war eine Marktlücke, das fand ich sehr gut. Aber so etwas ist schwierig, das schaffst du nicht jede Woche.

Wie wissen Sie, dass ein Video ankommt?

Man kann nie fix sagen, dass etwas zieht. Ich und meine Homies reden von Viral-Potenzial, wenn ein Video irgendetwas hat. In 80 Prozent der Fälle weiss ich, dass so ein Video zieht.

Gibt es Videos, die fast immer ziehen?

Der Kantönligeist. Auf Tiktok mache ich etwas Ähnliches, einfach mit Ländern. Ich mache mich über Deutschland und Österreich lustig. Das triggert jeden, der dort oder in der Schweiz wohnt, auch wenn man sich für Beauty oder Sport interessiert. Mit Ländern können sich alle identifizieren, alle kennen die Klischees.

Mit Klischees bewegt man sich wie auf einem Minenfeld: Auf einen Misstritt kann ein Shitstorm folgen. Was ist Ihr Rezept, um unbeschadet durchzukommen?

Ich überlege mir vor jedem Video, ob es etwas enthält, das jemand treffen könnte. Das Skript schreibe ich vorher auf und überlege mir, was passieren könnte.

Muss ein guter Witz auf Kosten von jemandem sein? Muss er verletzen?

Ich glaube schon. Ich habe es lieber, wenn meine Videos etwas auslösen, sonst ist es nicht relevant. Es muss nicht voll anecken, aber es muss im Grenzbereich sein. Da meine Videos zu 90 Prozent auf meine Kosten gehen, ist es okay. Ich mache mich viel über mich selbst lustig.

Welche Witze gehen zu weit?

Wenn sie zu sehr verletzen, zu ernst rüber­kommen oder wenn man nicht mehr merkt, dass der Witz sarkastisch gemeint ist. Wenn man jemanden unterschwellig beleidigen will, kommt das aber sowieso unsympathisch rüber.

Was muss passieren, wenn jemand übersteuert?

Die Person muss es selber einsehen und den Fehler eingestehen, dann ist gut. Schade finde ich, wenn Leute wegen eines Shitstorms abgestempelt werden. Wer hinsteht, sollte sein Bild geraderücken können.

Was glauben Sie, wird das Umfeld sensibler, oder werden die Witze extremer?

Ich glaube nicht, beides nicht. Das Problem mit dem Internet ist, man macht schneller einen Seich. Jugendliche wissen aber, was lustig gemeint ist und was nicht.

Als wie sensibel nehmen Sie die jungen Menschen wahr?

Es gibt sicher sensible, aber das gilt nicht für alle. Wer checkt, dass es sich um einen Witz handelt, ist meistens nicht so verkrampft. Dann verträgt es relativ viel.

Wie empfindlich sind Sie als Komiker?

Nicht so, und das finde ich gut. Ich kenne Leute, die Kommentare ernst nehmen und dann einen schlechten Abend haben. Ich sage mir immer: 90 Prozent schauen nur meine Videos, mehr nicht; 10 Prozent schreiben einen Kommentar und 0,1 Prozent meinen dann, dass mein Video dumm ist. So ist es fast immer, aber das gehört dazu.

Gibt es einen Internet-Humor?

Ja, schon. Humor von früher, von Älteren ist aufwendig, sehr durchdacht, nicht mega schlimm und auch nicht spontan; Online-Humor da­gegen ist gar nicht aufwendig, ein Bild mit einem simplen Spruch reicht meist. 

Wie würden Sie Ihren Humor beschreiben?

Recht flach, sehr chillig, manchmal politisch, weil ich mich auch über Bundesräte lustig mache, über Alain Berset zum Beispiel. Man muss bei mir 20 Minuten gelesen haben, damit man es checkt.

Also ein 20 Minuten-Humor?

20 Minuten ist halt, was die breite Masse so mitbekommt. An diesem Niveau orientiere ich mich.

Was für Komiker finden Sie lustig?

Felix Lobrecht, den grössten Podcaster aus Deutschland. Er hat wie Hazel Brugger diesen flachen, frechen Humor. Das alte Zeug gefällt mir nicht mehr. Für Marco Rima und so ist die Zeit vorbei.

Und noch ältere Semester? Otto Waalkes zum Beispiel?

Peach Weber finde ich gut; was er macht, ist so flach, so dumm, aber so funny!

Und umgekehrt: Wie lustig finden Ihre Eltern und Grosseltern Ihre Witze im Internet?

Ich glaube, gar nicht. Aber ich würde auch meinen Bruder nicht lustig finden, würde er Comedy machen. Ich wüsste zu viel über ihn, alle Hintergründe und sogar die Wahrheit.

Schreiben Sie Ihre Witze selber?

Yes, alles selber.

Was ist Ihre Botschaft als Künstler?

Ich will unterhalten, Leute zum Lachen bringen und aus dem Alltag locken, mehr nicht. Das ist ein bisschen dieses Youtube-Ding, man beginnt, und dann passiert es einfach. Zu belehren wäre gar nicht meins.

Viele sagen, man müsse seine Strahlkraft sinnvoll, am besten politisch nutzen. Was meinen Sie dazu?

Das finde ich überhaupt nicht, nur weil man berühmt ist. Klar kann man etwas bewirken, wenn man will, aber man muss nicht. Meine Kunstfigur lebt, weil sie nicht ernst ist. Würde ich plötzlich etwas Ernstes erzählen, wäre das komisch, aber ziemlich sicher nicht erfolgreich.

Was heisst Erfolg für Sie?

Dass, wenn ich etwas mache, ich es richtig mache. Wenn, dann voll und nicht halbbatzig. Dass ich im Internet mein Geld verdienen kann, ist für mich ein grosser Erfolg. Und dann kommt noch der Zahlenerfolg dazu: Eine Million Aufrufe sind für mich natürlich geiler als 100 000.

Was befriedigt mehr: Aufrufe oder die innere Zufriedenheit, etwas Cooles zu schaffen?

Wenn ich mit meinen Videos zufrieden bin, aber sie niemand schaut und ich dadurch Angst haben müsste, dass ich nicht davon leben kann, wäre ich nicht befriedigt. Das wäre zu stressig. Wenn die views einigermassen stimmen und ich hinter meinem Content stehen kann, ist das easy. Ich bin ein Sicherheitsmensch. Ich könnte mit dem totalen Risiko, am Ende des Monats die Miete nicht zahlen zu können, nicht leben.

Wie reich sind Sie eigentlich?

Ich kann sicher besser leben als ein Schweizer Musiker; Schweizer Musiker, die nicht richtig gross sind, leben am Existenzminimum. Zwar wohne ich noch bei meinen Eltern, aber ich könnte locker ausziehen. Die Frage ist, wie viel Werbung ich mache. Ich könnte sicher noch mehr machen. Aber je mehr ich diese Influencer-Karte spiele, desto mehr verkaufe ich mich.

Wofür würden Sie niemals werben?

Für Kreuzfahrten. Das habe ich mal, vor drei Jahren. Die Reise war zwar geil, aber so lange Schiffe nicht elektrisch laufen, finde ich es dumm.

Können Sie mal diesen Schlüssel verraten, wie viel Influencer verdienen?

Schwer zu sagen. Es kommt auf die Follower an und deren Aktivität. Dann: Grosse Firmen zahlen sicher mehr als kleine. Vielleicht als Richtwert: Mit 50 000 Instagram-Abos verdient man einen mittleren Monatslohn mit einer Kooperation.

Was heisst das für Sie als Tiktoker mit einer Million Follower?

Dort läuft es anders: Tiktok ist nicht Follower-, sondern Algorithmus-basiert. Nicht das Profil, sondern die einzelnen Videos entscheiden. Der Content, mehr als die Persönlichkeit, muss ziehen. Hätte ich auf Insta eine Million Follower, dann gute Nacht. Aber weil bei Tiktok jedes Video zählt, muss ich immer Vollgas geben.

Ein unglaublicher Druck…

Ja, schon. Aber man weiss auch, dass es am Video liegt, wenn es mal nicht läuft. Und man kann mit wenigen Followern, aber coolen Videos auch berühmt werden. Bei mir ist es ein durchschnittlicher Monatslohn, würde ich sagen. Ich bin nicht mega reich, aber ich kann gut leben.

Wie glücklich sind Sie?

Acht oder neun von zehn. Bei zehn müsste man schon sehr glücklich sein. Dann müsste ich mit vierzig in einem eigenen Haus wohnen und keine Sorgen und Ängste haben.

Wo liegt Ihr Schlüssel zum Glück?

Im Beruf ist es die Regelmässigkeit, konstant gut zu sein und sich immer Mühe zu geben. Ich glaube, Glück kann man erzwingen. Je mehr du machst, desto grösser ist die Chance, Glück zu haben. Ich meine, je öfter du nach Basel fährst, desto eher siehst du den FC-Basel-Trainer. Andere Künstler erarbeiteten sich ihren Erfolg zu 90 Prozent: Bei Billie Eilish zum Beispiel, da kam das auch nicht einfach so.

Denken Sie auch, dass man für sein eigenes Unglück verantwortlich ist?

Ja, sicher. Man kann auch sein eigenes Unglück erzwingen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Weiterhin selbständig zu sein und das zu machen, was mir Spass macht.

Welche Schlagzeile würden Sie gerne mal über sich lesen?

Mir kommt gerade keine Schlagzeile in den Sinn, aber beim «Donnschtig-Jass» würde ich gerne mal mitmachen. Das war die Sendung meiner Kindheit.

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