«Mein Charakter ist meine Stärke»
Aleksandra Popovic, 19, träumt von einem Leben als Topmodel – trotz unflätigen Fotografen, knallharten Jurys und einer Welt, in der es keine Freundschaften gibt.
Veröffentlicht in Die Weltwoche, 1. Juli 2021.
Aleksandra Popovic träumt vom Durchbruch: In Urdorf, Zürich, als Tochter balkanstämmiger Eltern aufgewachsen, zog es die medizinische Praxisassistentin nach der Lehre umgehend nach Mailand. In der Fashion-Metropole, wo es tausende Schönheiten probieren, kämpft die 19-Jährige um die Gunst der Modelabels. Aufopferd, zeitweise bis über die Schmerzgrenze. Als eines der Gesichter der letzten Mailänder Fashion-Week gedenkt Popovic, sich für Switzerland’s Next Topmodel anzumelden. Zwar sei sie Model, sagt sie im Gespräch. «Hoffentlich bin ich der nächste grosse Newcomer.»
Weltwoche: Frau Popovic, Ihr Traum ist es, Topmodel zu werden. Was heisst das für Ihren Alltag? Wie sieht der aus?
Popovic: Wenn ich in Milano bin, renne ich von Casting zu Casting. Mal sind es zwei, mal sieben, mal zehn pro Tag. Um fünf oder sechs Uhr bin ich fertig, höre von einem Job, den ich bekommen habe, und so gegen sieben kommt der nächste Tagesplan mit den Castings.
Weltwoche: Wie wohnen Sie in Mailand?
Popovic: Am Anfang wohnte ich in einem Model-Apartment, von der Mailänder Agentur. Es war aber eine Katastrophe, ein Schweinestall. Ich probierte es zuerst, weil jedes Model, das erfolgreich ist, durch so etwas muss. Aber es ging nicht, es war unmenschlich: Wir schliefen zu viert in einem Dreierzimmer, ein Mädchen am Boden. Also nahm ich mir eine Airbnb-Unterkunft.
Weltwoche: Erzählen Sie von den Castings.
Popovic: In der Schlange stehen 300 bis 400 Mädchen – für einen Job. Die Chance, dass man gebucht wird, ist relativ klein. Die Konkurrenz ist extrem; alle warten nur darauf, dass man scheitert, um davon zu profitieren. Freundschaften sind ausgeschlossen, man ist immer alleine. Ich habe oft geweint, aber nicht wegen des Heimwehs. Dieses Alleinsein ist Teil des Berufs.
Weltwoche: Was geht einem durch den Kopf, alleine unter so vielen Schönheiten um einen einzigen Auftrag zu kämpfen?
Popovic: Schwierig. Jede schaut dich an, checkt dich ab; jede ist auf ihre Art schöner, spezieller. Beim Umherblicken dachte ich: «Wie will ich da bloss auffallen? Was biete ich, was andere nicht haben?» Es geht nur ums Aussehen. Man ist unter Druck, weil andere dünner, grösser sind. Am liebsten möchte man gar nichts mehr essen und so aussehen wie die anderen. Man merkt gar nicht mehr, dass man nicht isst. Man ist so im Film.
Weltwoche: In Kalorien heisst das?
Popovic: So weit bin ich noch nicht. Aber ich esse wenig, ein richtiges Hungergefühl kenne ich nicht mehr.
Weltwoche: Bei den Castings: Was passiert, wenn Sie vor der Jury stehen?
Popovic: Da sitzen Direktoren von Brands. Ich gebe ihnen meine Sedcard mit meinen Massen, mit Bildern von mir. Wenn ich in die engere Auswahl komme, machen sie zwei, drei Bilder; wenn nicht, bin ich drei, vier Stunden für nichts angestanden.
Weltwoche: Wenn Sie leer ausgehen, wie lautet die Begründung?
Popovic: Es gibt Brands, die suchen etwas ganz, ganz anderes als mich. In Milano wurde ich als typisches Victoria’s-Secret-Model abgestempelt, als typische Beauty. Gewissen Marken passe ich nicht ins Konzept. Bei Gucci zum Beispiel, da suchen sie jemanden mit einer grossen Nase, mit irgendeinem komischen Merkmal. So was habe ich nicht.
Weltwoche: Was heisst das? Wo liegen Ihre Stärken?
Popovic: Ich bin wandelbar, auch persönlich. Mein Charakter ist meine Stärke, ich kann mich gut verkaufen, bin selbstsicher und finde mich sehr schön. Und ich motze nicht, wenn es heisst: «Wir machen jetzt fünf Stunden Bilder.»
Weltwoche: Wie viel springt für Sie bei Shootings raus?
Popovic: Im Ausland bekommt die Agentur 40 Prozent. Sie schauen also, dass den Models etwas bleibt. Aber die Gagen sind stark gesunken. Für ein Zwölf-Stunden-Shooting, ohne Pause und Mittagessen, arbeitete ich fast gratis. Sogar der Fotograf meinte, er wolle mir etwas abgeben. Wer keinen Namen hat, muss sich das Geld anders verdienen.
Weltwoche: Wie?
Popovic: Ich habe Glück, mich finanzieren meine Eltern. Ich kenne aber viele Models, die sich mit Millionären abgeben. Sie bedenken leider nicht, dass so etwas rauskommt, sobald sie erfolgreich sind. Ich würde mich nie hochschlafen wollen, ich will modeln. Das ist zwar härter, aber ich habe einen reinen Namen. Mir wurde es aber auch schon zu viel an einem Shooting.
Weltwoche: Was heisst das?
Popovic: Der Fotograf kam näher und näher. Er berührte mich ständig. Ich sagte mir: «Komm, das zieh’ ich durch – wegen des Kunden.» Dann kamen Sprüche wie: «I like your pussy», das ging mir zu weit. Ich nahm meine Tasche und ging.
Weltwoche: Was fasziniert Sie am Model-Dasein, trotz Widrigkeiten weiterzumachen?
Popovic: Wenn ich vor der Kamera stehe, blende ich alles aus – ich liebe es. Der Moment, wenn sich alles um mich dreht, ist unbezahlbar. Ich beschäftige mich gerne mit mir und achte auf meinen Körper.
Weltwoche: Wie kamen Sie eigentlich in dieses Business?
Popovic: Ich war vierzehn, als ich in Kroatien am Strand gescoutet wurde. Aber das ging leider unter. Zurück in der Schweiz, dachte ich: Modeln wäre schon cool. Also bewarb ich mich bei einer Schweizer Modelagentur. Es hiess recht schnell, ich solle ins Ausland gehen. Meine Mutter sagte, ich müsse erst meine Lehre abschliessen, danach könne ich machen, was ich wolle. Und so kam es: Nach meinem Lehrabschluss bewarb ich mich bei Fotogen. Sie schickten mich sofort nach Mailand.
Weltwoche: Was braucht es, um Model zu werden?
Popovic: Persönlichkeit und Wiedererkennungswert. Man muss flexibel und spontan sein. Und einstecken können. Man darf sich nichts anmerken lassen, wenn einem etwas nicht passt. Fit zu sein, ist das Wichtigste, viele scheitern, weil sie zu wenig essen. Ich habe oft erlebt, wie manche zusammenklappten, weil sie nicht genügend Power hatten.
Weltwoche: Was ist äusserlich gefragt?
Popovic: Lange, dünne Beine, dann braucht es nicht mal ein makelloses Gesicht. Damit habe ich so meine Probleme: Ich bin um die Hüfte etwas kurviger. Meine Mailänder Agentur fragte täglich, warum ich noch nicht abgenommen hätte. Sie wollten mich zur Fettentziehung schicken, wie sie viele machen. Da kriegt man eine Spritze, um innerlich Fett zu verbrennen – nur ist das bei mir nicht Fett, sondern das sind Knochen. Sonst darf man nicht allzu grosse Brüste haben. Ein symmetrisches Gesicht, das rein ist. Wer Pickel hat, wird weggeschickt. Da kennen sie nichts.
Weltwoche: Stimmt es, dass Models nachhelfen? Mit Spritzen, Operationen.
Popovic: Es gibt nur noch wenig natürliche Models, alle haben etwas gemacht. Aber ich finde, man darf nachhelfen. Das ist ja heute normal, solange es natürlich aussieht.
Weltwoche: Was heisst Schönheit für Sie?
Popovic: Lange Beine finde ich: wow. Mich fasziniert aber auch der Charakter einer Frau, wie sie sich gibt – oder er. Ein Mann kann wunderschön sein, solange er nicht weiss, wie man redet, ist er für mich unschön. Wenn er weiss, wie man sich präsentiert, ist er eine Zehn.
Weltwoche: Inwiefern unterscheidet sich das Frauen- vom Männermodel-Business?
Popovic: So wie ich das mitbekomme, erleiden Männer weniger Qualen: Wir müssen immer geschminkt sein oder High Heels fünf Stunden lang tragen – egal, ob es dreissig oder vierzig Grad heiss ist.
Weltwoche: Stimmt das Klischee, dass sich Models nur untereinander daten?
Popovic: Ich könnte nie mit einem männlichen Model zusammen sein, die entsprechen nicht meinem Typ. Sie sind zu feminin, zu weiblich – ob sie gay sind oder nicht. Ich glaube, das kommt von der weiblichen Modebranche. Darin müssen sich Männer weiblicher darstellen, als sie es sind. Ich hingegen brauchte einen richtigen Mann an meiner Seite.
Weltwoche: Können Sie das ausführen?
Popovic: Ich habe eine Schwäche für Fussballer, ich datete schon zwei. Ich finde, ein Model-Fussballer-Päärli ist ein Wow-Päärli.
Weltwoche: Denken Sie, als Neunzehnjährige, schon an Familie und Kinder?
Popovic: Jaja, aber ich lasse mir Zeit. Meine Mutter bekam mich früh, mit 21. Ich will Karriere machen, leben, reisen. Und dann möchte ich, so Ende zwanzig, eine Familie gründen.
Weltwoche: Was hält Ihre Mutter von Ihrer Karriere?
Popovic: Sie hat grosse Probleme damit, vor allem wegen des Essens. Ich meine, was gibt es Schlimmeres für eine Mutter, wenn ihr Kind nicht richtig isst? Meine Mutter versuchte oft, mir das Modeln auszureden, sie sprach von Weiterbildungen. Aber ich sagte, ich wolle es jetzt einfach probieren, sie könne mich unterstützen oder nicht. Natürlich unterstützt sie mich.
Weltwoche: Und was sagt Ihr Vater, wenn Sie halbnackt vor der Kamera rumturnen?
Popovic: Mein Vater denkt relativ modern. Nach einem freizügigen Shooting fragte ich ihn, ob das zu viel ist, wenn ich es auf Instagram poste. Er sagte, es sei halt Teil der Branche, eine Kunst. Sie stehen beide voll hinter mir.
Weltwoche: Wohin soll Ihr Weg führen?
Popovic: Ich träumte von Victoria’s Secret. Dafür hätte ich abgenommen, so viel wie möglich, dazu endlos trainiert. Leider ging das Label Konkurs. Jetzt träume ich von grossen Kampagnen, von Versace und so.
Weltwoche: Was käme dafür nie in Frage? Wo liegt Ihre rote Linie?
Popovic: Wenn ich merke, dass ich psychisch krank werde; wenn mich die Leute, die ich täglich um mich habe, kaputtmachen und ich nicht mehr ich selber bin. Wenn ich nicht mehr glücklich bin, wäre das ein Grund, um aufzuhören.
Weltwoche: Und, sind Sie glücklich?
Popovic: Ja.