«Man muss besser sein»
Kurt Aeschbacher gehört zu den erfolgreichsten Fernseh-Stars der Schweiz. Der studierte Ökonom erzählt von seiner Selbstfindung als schwuler Mann, von seiner Überlebensstrategie und von den Diskriminierungen, denen Homosexuelle heute wieder ausgesetzt sind. Von Roger Köppel und Roman Zeller
Veröffentlicht in Die Weltwoche, 5. Februar 2020
Noch bevor uns Kurt Aeschbacher willkommen heisst, begrüsst uns Amelie, seine schwarze Hündin, im Türrahmen. Drinnen, in Aeschbachers Wohnung im Zürcher Enge-Quartier, hängt ein Duft von orientalischen Räucherstäbchen in der Luft. Der 71-Jährige führt durch die stilvoll möblierten Räume. Überall sind Bilder, Skulpturen, Vasen zu sehen. Es ist, als befänden wir uns in einer Kunsthalle, im «Aeschbi»-Museum. «Alle meinen, das sei ein Stubentisch», bemerkt der Fernsehmoderator. Er zeigt auf einen dunklen Klotz, der zwischen zwei Sesseln steht. «Dabei ist das ein Werk von Ai Weiwei, aus gestampftem Tee.» Auch das Paar Schnürschuhe, das im Esszimmer über der Tür hängt, sei vom chinesischen Künstler.
Leonardo, Aeschbachers Lebenspartner, ein gebürtiger Argentinier, hilft beim Servieren von Kaffee und Grüntee. Seit 2013 sind die beiden ein Paar, inzwischen leben sie in einer eingetragenen Partnerschaft. Auf seine Homosexualität wolle er nicht reduziert weden, sagt Aeschbacher, bevor wir uns setzen und unterhalten.
Herr Aeschbacher, wann haben Sie gemerkt, dass Sie homosexuell sind?
Es war eine zaghafte Entdeckung.
In welchem Alter?
Etwa in der vierten, fünften Klasse habe ich festgestellt, dass mich Buben mehr interessieren als Mädchen. Das war extrem verunsichernd. Ein neues Element kommt ohnehin in dein Leben, Sexualität, und du stellst ausserdem noch fest, dass du anders ausgerichtet bist als die Mehrheit. Viele Fragen schwirrten durch mein jugendliches Hirn: Stimmt da etwas nicht? Wieso ist das Interesse an Buben grösser? Und was bedeutet das letztendlich? Kann ich das bekämpfen? Ist es vorübergehend?
Sie spürten, dass Sie zum Aussenseiter werden könnten, vielleicht sogar zum Ausgestossenen.
Instinktiv war mir klar: Wer anders ist, kann nicht Teil des Ganzen sein. Ich musste lernen, meine Identität anzunehmen. Kann ich das? Bin ich stark genug? Da war ich ganz alleine mit den Fragen, für die ich keine Antworten fand.
Sie haben diese neuen Erfahrungen niemandem erzählt?
Nein, logischerweise nicht. Ich weiss nicht, wie das bei anderen Kindern war. Aber nur schon die Tatsache, dass man sexuelle Wünsche und Interessen bekommt – die diskutiert man ja nicht mit den Eltern. Damals schon gar nicht.
Hat die Erkenntnis, schwul zu sein, bei Ihnen einen Schock, das heisst: Panik vor den möglichen Konsequenzen, ausgelöst?
Tief drinnen war eine Angst. Die trieb mich aber auch an, ein Doppelleben zu führen. Und auszuhalten. Wir haben Partys gemacht, Mädchen und Buben waren involviert. Fast jeder Mann, wenn er ehrlich zurückdenkt, kennt homoerotische Momente in der Jugend. Für mich waren die Partys wie ein Teil der Verkleidung. Ich konnte mich spielerisch herantasten. Interessant war, dass andere Buben auch mitgemacht haben.
Hatten Sie Freundinnen, zur Tarnung?
Ja. Ich hatte Angst, dass es entdeckt und zu einem gesellschaftlichen oder familiären Thema wird. Zuerst waren meine Freundinnen Schulschätze, dann, als ich studierte, waren es richtige Freundinnen, mit denen ich aus- und ins Bett ging.
Was haben Sie dabei empfunden?
Es war eine Ambivalenz. Ich wollte herausfinden, ob es geht oder nicht. Was würde es in mir auslösen? Gleichzeitig war da die Befürchtung: Wenn es nicht geht, ist das der endgültige Beweis, dass ich anders bin.
Sozusagen der Versuch, sich eine Brücke ins «normale» Leben zu bewahren.
Eigentlich habe ich ja gewusst, wie ich bin. Aber es gab diese Angst vor mir selbst, dass meine Homosexualität eine Tatsache sein könnte. Damit verbunden war auch die Angst, es irgendwann öffentlich machen zu müssen.
War die Schweiz damals, zu Beginn der sechziger Jahre, ein schwulenfeindliches Land?
Es gab Vorzeigeschwule in Bern. Herr Dubois hatte den Tennisklub Dählhölzli, daneben noch eine Tanzschule. In der Stadt hiess es, das sei ein Warmer, da müsse man aufpassen, der verführe womöglich Buben. Dann war da noch Jürg Stucker. Er führte ein berühmtes Auktionshaus und lebte offen deklariert mit seinem Freund zusammen. Tragischerweise hängte er sich in seinem Auktionshaus auf. Das waren die Rollenbilder: Sie interessierten mich. Gleichzeitig merkte ich: Wenn du diesen Weg gehst, bist du der Aussenseiter, den sie schräg anschauen, über den sie tuscheln.
Gab es auch offene Schwulenfeindlichkeit?
Explizite Schwulenfeindlichkeit mit Hass, Gewalt oder totaler Ausgrenzung: Das war sicher nicht die dominierende Stimmung. Schwule wurden auch nicht kriminalisiert. Wenn sie es gut machten, wie Dubois oder Jucker, gab es sogar eine gewisse Anerkennung. Aber Schwule wurden belächelt, subtil ausgegrenzt, denn sie verkörperten das Unbekannte, das vielleicht andere in sich auch spüren und es gerade deshalb sofort abtöten, wegstossen.
Sie haben einmal gesagt, Sie hätten Ihr Sexleben damals diskret und effizient verrichtet, «wie ein Geschäft». Können Sie das ausführen?
Meine Sexualität war wie eine Blase, in die ich hineinging und aus der ich wieder ausstieg. Sie durfte nicht ein Teil des Alltags sein. Ein schlechtes Gewissen war damit verbunden, mehr noch die Sorge, dass man als deklarierter Aussenseiter Probleme bekommt, weniger berufliche Möglichkeiten hat im Leben: Als Schwuler muss man besser sein. Man muss sich mehr anstrengen, um Angriffsflächen zu vermeiden.
Warum und wann haben Sie sich entschieden, sich als Schwuler zu outen?
Es war ein bewusster Entscheid. Ich war neunzehn, hatte gerade die Matur gemacht und angefangen, Wirtschaft zu studieren. Mein Freund lebte in München, und so fuhr ich nach München. Als ich zurückkam, fragte meine Mutter: «Das war eine komische Reise, bei wem warst du?» Das war der Moment, als ich offen darüber reden musste.
Was sagte die Mutter?
Sie hoffte wohl, dass ich eine Frau in München besucht hätte, aber Mütter spüren ja, wie es wirklich ist. Als ich ihr die Wahrheit sagte, warf sie ein: «Aber da ist doch noch eine Freundin.» Ich erklärte ihr, dass mir das sexuell nichts bedeutete. Da brach für meine Mutter eine Welt zusammen. Was sie geahnt hatte, war nun definitiv. Das war ein Phänomen dieser Zeit: Man redete nicht über Dinge, von denen man wusste, dass sie existieren, denn solange man sie nicht ausspricht, kann man so tun, als seien sie inexistent.
Früher dachten Eltern, wenn ihre Kinder schwul waren, dass sie in der Erziehung versagt hätten.
Das war interessanterweise die Reaktion. Meine Mutter fing an zu heulen: «Was habe ich nur falsch gemacht?» Sie dachte wohl, die Sozialisierung sei «schuld». Ich behaupte, dass Homosexualität genetisch geprägt ist. Das aber wusste sie noch nicht. Es war ein dramatischer Tag mit vielen Tränen, auch bei mir.
Was meinte der Vater?
Der wusste noch gar nichts. Die Mutter sagte: «Das können wir ihm nicht erzählen.»
Sie wollte es verheimlichen?
Ja. Sie wollte einen Pakt schliessen mit mir. Ich forderte aber klare Verhältnisse. Ich habe indirekt eine Art Liebesbeweis verlangt und sagte sinngemäss: «Wenn du findest, ich sei ein schlechterer Sohn, weil ich auf Männer stehe, dann muss ich halt damit leben.» Irgendwie gingen wir dann ohne klare Aussprache auseinander. Ich erinnere mich, dass ich beiläufig von einem Hemd erzählte, das mir sehr gefallen hatte. Am nächsten Tag lag dieses Hemd kommentarlos auf meinem Bett.
Die Mutterliebe war stärker.
Ja. Sie wollte, konnte nicht mehr darüber diskutieren, und doch gab sie mir zu verstehen, dass es so, wie es war, in Ordnung sei.
Eine berührende Geste.
Ich fand es wahnsinnig schön. Wir waren nicht reich. So ein Hemd kostete und bedeutete etwas. Es war etwas Grösseres.
Und wie ging es mit dem Vater weiter?
Er wollte nie mehr wissen. Mit meinen Eltern habe ich im ganzen Leben nie mehr übers Schwulsein gesprochen. Es war ein Tabu. Trotzdem behandelte mein Vater auch Freunde von mir immer kollegial und freundschaftlich. Meine Mutter wurde gelegentlich rückfällig. Ich solle doch heiraten, rutschte es ihr dann heraus. Was ihr dann sofort peinlich war.
Man will von seinen Eltern bedingungslos geliebt werden, ohne Vorbehalte. Haben Sie damals an Ihren Eltern gezweifelt?
Das nicht, aber es hat wohl meinen Emanzipationsprozess etwas beschleunigt. Ich wollte mein Studium rasch hinter mich bringen und auf eigenen Beinen stehen. Ich brauchte eine eigene Wohnung, denn meine Freunde nach Hause bringen – das wäre unmöglich gewesen.
Inwiefern hat Ihre Homosexualität Ihren Charakter in anderen Lebensbereichen geprägt?
Bei mir hat die sexuelle Identität zu einer gesellschaftlichen Überanpassung geführt: nicht auffallen wollen, zeigen, dass man beruflich erfolgreich ist. Ich wollte keinen Anlass geben zu weiteren Fragezeichen.
Hat Sie dieser Wille, es besser zu machen, selbstbewusster werden lassen?
Eher nein. Ich hatte kein grosses Selbstbewusstsein. Ich habe es immer noch nicht. Wenn ich zurückschaue, dann habe ich sechzig Jahre Selbsttherapie gemacht. Ich kam nur deshalb über die Runden, weil ich mich immer gefordert habe, die Hürden überspringen musste. Deshalb bin ich wohl auch beim Fernsehen gelandet.
Sie wurden bald bekannt als einer der Moderatoren der Kultsendung «Karussell». Mussten Sie Ihre Homosexualität geheim halten?
Intern nicht. Es war wichtig, dass Klarheit herrschte. Ich kam aber in ein neues Dilemma: Wie öffentlich ist meine Sexualität?
Wie lautete Ihre Antwort?
Es spielte sich das Gleiche ab wie zu Hause. Zum einen wusste ich nicht, wie das Publikum reagieren würde. Ich hatte Angst vor einem möglichen Liebesentzug. Zum andern wollte ich auch nicht der Vorzeigeschwule sein, der auf seine Sexualität reduziert wurde. Man sollte mich nach dem beurteilen, was ich mache und kann. Ich wollte meine Homosexualität nicht thematisieren. Es war meine Privatsache.
Alle Journalisten wollten die grosse Coming-out-Story, als Sie allmählich bekannt waren. Ihre Homosexualität war damals ein offenes Geheimnis.
Ich sagte: «Wir können gerne darüber sprechen, ihr schreibt einfach nicht.» Es gab extrem viel Druck.
Wann und warum haben Sie es öffentlich gemacht?
Es war anlässlich eines Besuchs von Arnold Schwarzenegger in Zürich. Er eröffnete sein «Hard Rock Café» an der Bahnhofstrasse. Ich war eingeladen und wollte mit meinem Partner Andrin Schweizer hin. Wir wussten, wenn wir öffentlich zusammen auftreten, dann kommt die Schlagzeile. Das war dann auch so. Wir verdrängten Schwarzenegger von den Titelseiten. (Lacht)
Was sagten die Eltern?
Mein Vater war bereits gestorben. Meine Mutter bekam die totale Krise. Sie erzählte mir, dass sie nun von all ihren Freundinnen angesprochen werde. Sie habe Angst um mich. Ich würde doch nun benachteiligt im Leben. Sie hatte es offensichtlich noch nicht verarbeitet, zeigte mir aber rührend ihre Liebe.
Gab es auch negative Reaktionen?
Da ich dem Fernsehen nie so recht traute, hatte ich ein zweites Standbein, ein Geschäft für Accessoires in Basel. Ab und zu wurden dort die Schaufenster mit Fäkalien beschmiert. Solch abseitige Geschichten haben mir damals echt Angst gemacht. Es gab auch beleidigende Briefe und Zusendungen mit widerlichem Inhalt. Leider konnte ich nie antworten, weil alles anonym war.
Beim Fernsehen?
Grosse Unterstützung. Es arbeiteten viele Schwule dort. Ich hatte auch nie das Gefühl, das Publikum wende sich ab. Das ist ein grosses Kompliment an die Gesellschaft. Ich habe die Schweiz als äusserst tolerant empfunden.
Toleranter als geglaubt?
Ja, ich hatte Angst vor Intoleranz, habe aber genau das Gegenteil erfahren. Das war bemerkenswert. Meine Karriere hatte nie einen Einbruch wegen der Sexualität. Wenn etwas bemängelt wurde oder schlecht lief, dann deshalb, weil ich einfach eine schlechte Sendung gemacht hatte.
Wie hat sich das Klima für Schwule verändert in der Schweiz? Was erleben Sie heute?
Mir scheint, die Diskriminierung nehme zu.
Wie kommen Sie darauf?
Es ist eine heikle Aussage, aber ich glaube, wenn Menschen aus völlig anderen Kulturen kommen, in denen Homosexualität aus religiösen oder kulturellen Gründen nicht existieren darf, dann haben sie in einer liberalen Gesellschaft, wie wir sie leben, grössere Mühe. Es gibt in diesen Szenen sicher auch einen Gruppendruck, sich gegenüber Schwulen noch deutlicher abzugrenzen als durch ein paar Bemerkungen, sonst kommt man selber unter Druck. Die Übergriffe, von denen wir immer wieder hören, sind ein kulturelles Phänomen, das beängstigend ist. Es macht für mich aber das Schwulsein in der Schweiz nicht gefährlicher.
Es gab einen homosexuellen niederländischen Politiker, Pim Fortuyn, ursprünglich links, Soziologieprofessor, enorm populär. Er warnte vor zwanzig Jahren, dass die Zuwanderung aus muslimischen Ländern für Frauen und Schwule gefährlich sei. Hatte er recht?
Lassen Sie es mich so sagen: In den USA gibt es einzelne Staaten, in denen die «Umprogrammierung» von Schwulen legal ist. Da können angebliche Therapeuten mit Elektroschocks et cetera sogar Geld verdienen. Als ob Schwulsein eine Krankheit wäre. In extremen religiösen Kreisen ist das Teil der Kultur. Nicht nur in arabischen Ländern.
Gemäss Medienberichten stehen hinter den Übergriffen auf Homosexuelle in der Schweiz aber vor allem Zuwanderer aus muslimischen Ländern. Darf man das nicht sagen?
Doch, aber ich habe Mühe mit Pauschalisierungen. Schwule treten heute selbstbewusster auf. Das ist eine grössere Provokation. Anderseits gibt es Kreise, die aus religiösen und kulturellen Gründen damit nicht umgehen können. Natürlich spielt da auch die Zuwanderung hinein, wenn es zu Zusammenstössen und Konflikten kommt. Was mir auffällt: In muslimischen Ländern schauen Männer extrem auf ihr Äusseres, mit intensivster Körperpflege. Aber die Homosexualität wird – offiziell zumindest – aufs heftigste bekämpft.
Was ist gegen den neuen Hass zu unternehmen?
Es braucht Aufklärung und eine Ächtung dieser Einstellungen und Verhaltensweisen.
Sind Sie selber schon Opfer von Übergriffen geworden?
Nein, aber ein Freund von mir wurde am Bürkliplatz zusammengeschlagen, er hatte schwerste Kiefer- und Nasenverletzungen. Das hat es immer gegeben, leider. Ich glaube aber, wir leben grundsätzlich in einer sehr toleranten Gesellschaft in der Schweiz.
Wo werden Schwule heute noch rechtlich diskriminiert?
Wenn einer der beiden Ausländer ist und der andere Schweizer, dann wird es ganz kompliziert.
Braucht es die Homo-Ehe, oder reicht die eingetragene, rechtlich gleichgestellte Partnerschaft?
Ehe für alle ist für mich zwingend, es ist ein Bürgerrecht zweier Menschen, die sich lieben. Ich finde es falsch, eine Sonderregelung zu schaffen für diese sogenannt komischen Schwulen und Lesben.
Der Philosoph Kant definierte die Ehe als Vertrag «zum wechselseitigen Gebrauch der Geschlechtsorgane».
Vielleicht war er der intelligenteste und früheste Befürworter der Schwulenehe.
Aber die rechtliche Gleichstellung ist doch vorhanden. Nur der Begriff Ehe fehlt. Ist das so wichtig?
Die Gleichstellung ist nur annähernd da. Adoptionen sind noch nicht möglich. Das ist nun kein Anliegen von mir, aber im Gefühl der Gerechtigkeit muss das doch möglich sein. Die Behauptung, dass Kinder zwei verschiedene Geschlechter als Eltern brauchen, ist längst wiederlegt.
Die Leute tuscheln: Schwule würden häufiger zu Pädophilie neigen, daher aufgepasst bei Adoptionen.
Dieses Vorurteil – andere Sexualität fördere Missbrauch – steckt tief, ist aber, auch statistisch erwiesen, falsch. Es gibt mehr heterosexuelle Pädophile als homosexuelle. Bei lesbischen Paaren, die Kinder erziehen, hört man diese Verschwörungstheorie nie.
Schwule haben es schwieriger?
Ja, das hängt damit zusammen, dass Zärtlichkeiten unter Frauen selbstverständlicher sind. Ausserdem ist es offenbar ein Männertraum, mit zwei lesbischen Frauen ins Bett zu steigen.
Wie stehen Sie zur Reproduktionsmedizin? Das Baukastenkind mit Leihmutter und gegebenenfalls Samenspende.
Den Drang, meine Gene weiterzugeben, hatte ich nie. Reproduktionsmedizin finde ich ethisch fragwürdig. Gebraucht man die Leihmutter als Gebärmaschine? Man spendet den Samen, sie trägt es aus. Da gehen bei mir die Alarmsirenen los.
Wir verlängern das Leben dank Technologie. Nun haben wir die Möglichkeit, Leben mit Hilfe neuer Technologien entstehen zu lassen. Was ist so schlimm daran?
Mich schreckt das Transaktionsmässige ab: Geld gegen Kind. Fürchterlich. Ich komme gerade aus Ruanda. Da war ich in einem Lager mit 60 000 Menschen, darunter 33 000 Kinder im Alter von drei bis achtzehn Jahren. Bevor wir die Reagenzgläser besamen, sollten wir Kindern eine Chance geben, die Hilfe nötig haben.
Werden Sie am 9. Februar für die Ausweitung der Rassismusstrafnorm stimmen?
Da sitzen zwei Seelen in meiner Brust. Natürlich muss Hass unterbunden werden, denn Hass kann zu Gewalt und Diskriminierung führen. Der Völkermord in Ruanda begann mit einer Entfesselung der Sprache. Das muss verhindert werden, aber ich frage mich wirklich, ob es dazu einen neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch braucht.
Sie tendieren zum Nein?
Eher zum Ja. Ich kann verstehen, wenn man dafür ist. Aber ich erwarte von den Gerichten, dass sie schon heute verantwortungsbewusst entscheiden. Ich bin kein Freund der überempfindlichen Gesellschaft. Gleichzeitig stimmt es nicht, was die SVP und andere behaupten, dass ein Ja zu diesem Artikel die Meinungsäusserungsfreiheit in der Schweiz einschränken würde.
Ist es nicht überempfindlich, wenn Schwulenorganisationen heute überall Diskriminierungen wittern und auch offen übersteuern, wenn wir den Fall der Schokoladenfirma Läderach anschauen? Da fühlen sich manche Aktivisten allein durch die Tatsache provoziert, dass die Eigentümerfamilie sehr christlich unterwegs ist.
Minderheiten können immer übersteuern. Die Gefahr ist da. Ich finde, wir sollten wieder lernen, mit Augenmass und vernünftig zu urteilen. Boykottaufrufe und Hasstiraden gegen einen Schoggi-Produzenten schaffen einzig neue Diskriminierungen – am Schluss ist doch jeder Bürger frei, dort einzukaufen, wo er sich als Mensch respektiert fühlt.
Könnten Sie als prominenter Schwuler überhaupt gegen die Ausweitung der Rassismusstrafnorm Stellung beziehen oder würden Sie dann von Schwulenorganisationen der Illoyalität bezichtigt?
Vielleicht, aber es wäre mir egal. Ich differenziere nicht aus Angst, abgestraft zu werden. Ich fühle mich gegenüber der Weltwoche nur meinem Gewissen verpflichtet. (Lacht)
Haben Sie sich eigentlich jemals gewünscht, nicht schwul zu sein?
Nein. Ich habe mir nur gewünscht, dass es gut kommt, obwohl ich anders bin in meinem Leben.