Leben auf Abo-Basis
Yannick Blättler, 27, übersetzt die Bedürfnisse der Generation Z für Unternehmen: Wie ticken die Jungen als Arbeitnehmer und Konsumenten? Welche Fehler sollten Firmen tunlichst vermeiden? Und was für eine Arbeitswelt blüht uns? Eine Gebrauchsanweisung.
Veröffentlicht in WW Magazin, Ausgabe April/Mai.
Wir treffen uns physisch, auch wenn sich sein Leben vor al- lem digital abspielt: Yannick Blättler sitzt am Seeufer in Zürich, als es kurzzeitig zu regnen beginnt. Er kontrolliert, ob sein Rucksackreissverschluss wirklich zu ist. Er hat darin fast alles, was er braucht, verstaut – Laptop, Tablet, Kamera. Nur sein Handy trägt er im Hosensack seiner Jeans.
Der 27-Jährige ist lässig gekleidet, mit Sneakers und Kapuzenpulli. Seit wenigen Jahren tingelt er so uniformiert als Jugendexperte von Ort zu Ort und hält Vorträge und Workshops zum Thema, wie man die «Challenges von morgen» adressieren kann. Kurz vor dem Treffen mit dem WW Magazin hat er seine Gedanken zur digitalen Zukunft via Podcast mitgeteilt; er hat ein eigenes Format.
Blättlers Metier ist das Internet. Neoviso, seine Beratungs- und Marketingfirma, bietet Lösungen an, damit Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinanderfinden. Er verhilft Firmen zu einem coolen Auftritt, damit sie sich mit dem bestmöglichen Inhalt im schönsten Licht auf den passenden Jugendkanälen präsentieren können.
Dass Blätter weiss, was er macht, zeigt sein buntes Kundensegment: Egal, ob Grosskonzern oder KMU – das Bedürfnis nach audiovisueller Werbung ist gross. Sogar ein Profisportler vertraut seinen Diensten: Mit Kariem Hussein, dem 400-Meter-Hürdenläufer, schwört ein Schweizer Top-Athlet auf Blättlers Digital-Skills.
CODES UND CEOS
Wenn Yannick Blättler an die Anfänge seiner Firma denkt, spricht er von einer «Bieridee»: 2015 gründete er mit zwei Freunden einen Studentenverein, weil sich der HSG-Wirtschaftsstudent damals über die lamen Networking-Events ärgerte. Themen und Firmen hätten ihn zwar interessiert, nur wurden meist lediglich Personalabteilungsvertreter eingeladen, die mit Zahlen jonglierten und mit ihnen prahlten. «Von der eigentlichen Botschaft blieb nie etwas hängen.»
Das wollte er ändern: Unternehmen sollten sich mit spannenden Leuten mit coolen Jobs bei den Berufseinsteigern vorstellen, so sein Credo. Im Blättler-Format sprachen Programmierer über Codes und Wirtschaftsprüfer über Gespräche mit CEOs – die Studenten waren begeistert.
Die Interaktion, die sich mit den Jungen entwickelte, reizte wiederum die Gegenpartei: Mit der Zeit begannen Geschäftsleitungen, Blättler einzuladen, um mehr über die Generation vonmorgen, ihre zukünftigen Arbeitnehmer und Kunden, zu erfahren. «Plötzlich waren sie scharf auf junge Sichtweisen», erinnert er sich. 2015 studierte er an der Geschäftsidee herum, bereits 2016 erfolgte die GmbH-Gründung.
Heute gehört Neoviso zu den führenden Schweizer Marketingunternehmen im Digitalbereich. Speziell ist Blättlers Firma, weil sie nicht nur mit Worthülsen um sich wirft, sondern die Strategie auch gleich mit coolen Video- und Fotoproduktionen umsetzt. Das Büro ist inspiriert von der Lockerheit des Silicon Valley; überall Pflanzen, dazu freistehende Tische für ein flexibles Arbeitserlebnis. Eine Playstation lädt zum Spielen ein. Das Büro wurde soeben aus Hergiswil, wo Blättler auch aufgewachsen ist, nach Kriens gezügelt.
Seinen Arbeitseifer und seine Disziplin lernte er mit der Musik: Als Kind und Jugendlicher spielte er Trompete, Schlagzeug und Klavier. Fast hätte er Musik studiert. Sein Stiefvater und sein Vater, die beide eine Firma leiten, brachten ihn auf die unternehmerische Schiene. Diesen Karriereweg habe er nie bereut, sagt er – trotz Verantwortung, Ungewissheit und hohem Arbeitspensum. Manchmal denkt er sich, eine Anstellung wäre vielleicht chilliger, wie er sagt. Der Gedanke endet jeweils nach wenigen Sekunden. «Ich hätte dann mein Baby nicht mehr, und das wäre unvorstellbar.»
ZUOBERST DAS ICH
Diese Selbstverwirklichung sei es, nach der heute viele junge Menschen streben, weiss Blättler. Er ist älter als die Generation Z, die mit den Jahrgängen 1995 bis 2010. Trotzdem fühlt er ihnen den Puls, macht Umfragen und Marktanalysen, um die zeitgemässen Bedürfnisse nachzuvollziehen. Zum Selbstverständnis der «Gen Z», so die Abkürzung, gehören Kommunikation und Interaktion, sagt er. «Alles muss im Hier und Jetzt erfolgen, und vor allem einfach.»
Wertfrei spricht er über eine heranwachsende Altersgruppe, die auf Social Media einen grossen Teil ihrer Zeit verbringt. «Sie kennen ja nichts anderes.» Ein Tag ohne Smartphone – unvorstellbar. Kein Social Media – «geht nicht». Dass das Internet einst nur mit Kabel zugänglich war, klinge in ihren Ohren märchenhaft, fügt er an.
Blättler zeichnet eine Netflix-Spotify-Welt auf Abo-Basis. «Junge wollen jederzeit auf alles zugreifen können, ganz einfach, am besten nur mit einem Wisch. Und wenn etwas langweilig wird, kommt das Nächste.» Warum also eine DVD kaufen, wenn ein Netflix-Account pro Monat die Hälfte kostet? Das Gleiche bei CDs, die durch Apps wie Spotify, Soundcloud oder Apple Music obsolet wurden. «So denken durchschnittliche Junge», erklärt Blättler.
Dass diese neue Welt Gefahren berge, sei klar, sagt er. Schweizer Jugendliche hängen täglich fast vier Stunden auf Social Media herum: Tiktok, Instagram, Youtube, Whatsapp, Snapchat, nicht mehr auf Facebook. Die Vorwürfe, sie sei faul oder ambitionslos, die der Gen Z anhaften, sieht er als Fehlvorstellungen, auch wenn sie in manchen Fällen zutreffen mögen. «Als Teenies sassen wir auch nachmittagelang vor dem Fernseher», sagt Blättler, ohne sich rechtfertigen zu wollen. Schliesslich sehe er sich nicht als Anwalt, sondern als Übersetzer – «damit Alte Junge verstehen».
Was Menschen in jungen Jahren interessiere, sei Unterhaltung – ob sie sinnvoll sei oder nicht. «Mit Social Media», so Blättler, «bleibt man up to date, setzt sich mit Themen auseinander, die einen an- sprechen, man adaptiert eine Kultur und lernt auch.»
Die Tatsache, dass Junge dem Flimmergerät im Taschenformat derart viel Aufmerksamkeit schenken, sieht er als Chance. Das ist seine Kernbotschaft. «Das heisst», präzisiert er, «Firmen erhalten Aufmerksamkeit, wenn sie sich dort platzieren, wo die Jungen auch sind – einfach ja nicht mit langweiligen Bildern und Videos.»
DER FEHLER MIT DEM TRADING FLOOR
Nur auf dem Kanal zu sein, genüge nämlich nicht, wie das Beispiel der UBS kürzlich zeigte: Die Grossbank startete vor wenigen Wochen einen Lockruf fürs Investmentbanking via Social Media. Das Video erntete Hohn und Spott, weil darin eine Frau über den trading floor spaziert, von Mittagsyoga spricht und sich am Nachmittag aufs Kaffeekränzchen freut – «das roch von weitem nach Bullshit», lautet Blättlers Fazit. Obwohl aufwendig gefilmt, glaubte niemand die Botschaft. Denn das Codewort lautet «Authentizität». Oder anders: «Wer auf Instagram verzapft, was in Wahrheit nicht stimmt, wird schnell mit einem Shitstorm bestraft.»
Ein Fehler, der oft vorkomme: Wenn Ältere glauben, sie wüssten, was Junge cool finden. «Das ist meist überhaupt nicht cool», lacht Blättler. Es müssten keine Luftschlösser gemalt werden, auch die negativen Seiten könnten thematisiert werden. «Es gibt Menschen, die auch gerne mit Zahlen arbeiten – warum sollte man das nicht sagen?» Ehrlichkeit helfe, Junge längerfristig zu halten, weil die downsides sowieso früher oder später herauskommen. Aber: Von der Vorstellung, dass jemand heute noch zehn, fünfzehn Jahre bei einer Firma bleibe, müsse man sich verabschieden.
Flexibilität ist den Jungen wichtig, ebenso das Betriebsklima und das Team. Führung dürfe nicht mehr «Hardcore-hierarchisch» sein, «und die Arbeit muss Sinn machen», sagt Blättler. Junge wollen etwas bewirken. Das leben ihnen die Internet-Vorbilder vor, die über Nacht zu Superstars mit Millionenpublikum werden. Geld und Karrieremöglichkeiten seien weniger zentral als früher. Ein tieferer Lohn könne mit einer Vision, die in den Augen der Jungen sinnvoll sei, kompensiert werden. Oder in anderen Worten: «Wenn die Bezahlung schlecht ist, kann es okay sein, solange der Sinn stimmt – umgekehrt nicht», sagt Blättler. Diesbezüglich seien Junge sensibel.
EINE ENTMENSCHLICHUNG?
Blättlers Arbeit, Junge und Alt zu verbinden, fällt unter den Allerweltsbegriff der Digitalisierung. Die Voraussetzung dafür sei ei- ne Effizienzsteigerung: Wenn ein Computerprozess weniger Sinn macht als ein analoger, sollte man die Finger davon lassen.
Mittelfristig, sagt er, werde unser Leben zwangsläufig digitaler, vernetzter, schneller mit Maschinen. «Womöglich werden sich unsere Kalender automatisch abgleichen, bevor wir uns das nächste Mal treffen», sagt er zum Schluss. Dem solle man sich nur nicht künstlich verschliessen, «das ist der Wandel der Zeit».
Eine Entmenschlichung befürchtet er nicht – im Gegenteil: Er glaubt sogar, das Bedürfnis, sich persönlich auszutauschen, Geschichten zu teilen, nehme sogar zu. «Das zeigt Social Media.» Nicht nur deswegen blickt Blättler zuversichtlich in die Zukunft. Mit seinem Optimismus will er auch die ältere Generation anstecken. «Es braucht Offenheit, ein Macher-Mindset, wir müssen uns getrauen, einfach mal auszuprobieren – auch wenn es nur eine App ist, die man nicht kennt.»
Am schönsten finde er denn auch, wenn er nach einem Vortrag eine Instagram-Nachricht von einem über Sechzigjährigen erhalte, der ihm am Tag zuvor kritisch zugehört habe. Dabei hiess es auch schon: «Hey Yannick, ich habe mir deinetwegen einen Account gemacht.»