Auftritt Oprah Winfrey
Aline Siegenthaler, 27, gestaltet Brillen. Über eine spricht die ganze Welt.
Veröffentlicht in Die Weltwoche, 17. März 2021.
Seit 2018 arbeite ich als Produktdesignerin bei Götti Switzerland. In der Entwicklungsabteilung beschäftigen wir uns unter anderem mit 3-D-Druck. Der gedruckte Kunststoff ist leicht, hautverträglich und praktisch unzerstörbar – ideal für Brillen. Sven Götti, der CEO der Firma, skizziert seine Wünsche und Ideen und übergibt sie danach an mich und meine Teamkollegen weiter. Wir erstellen eine dreidimensionale Datei. Die komplette Produktion der Brillen findet in Wädenswil statt.
Vor rund zwei Jahren erreichte uns eine Anfrage von Oprah Winfreys Stylistin. Die Talkmasterin habe in Washington, D. C., eine Brille von uns gesehen, hiess es. Zusätzlich zur gewünschten Hornbrille sendeten wir ihr zwei Modelle, die auf einem innovativen und von uns patentierten System beruhen, das nur aus Einzelteilen zusammengesteckt wird. Wir dachten, das sähe mondän aus an ihr, also entwarfen wir zwei Formen speziell für sie. Die Brillen gefielen ihr super, sie bestellte sogar noch weitere in anderen Farben. Im Royal-Interview mit Meghan und Harry, das kürzlich viral ging, entschied sich Oprah, die Brille in Beige zu tragen. Dass die Brille derart auffällt, dass sie um die Welt geht, hätte ich nicht gedacht.
Gestalterischer Freiraum
Ich komme aus einer kreativen Familie: Meine Urgrossmutter war Kunstmalerin, meine Grossmutter Modedesignerin, und meine Mutter ist Innendekorateurin. Als Kind liebte ich Zeichnen und Basteln. Für mich lag es nahe, eine gestalterische Richtung einzuschlagen. Nach der Matur schrieb ich mich für den Vorbereitungskurs an der Zürcher Hochschule der Künste ein. Mich interessierten die Disziplinen des Zeichnens und des Gestaltens im dreidimensionalen Raum, weshalb ich mich fürs Produktdesign entschied.
Nach dem dreijährigen Bachelor an der Hochschule Luzern zog es mich nach Berlin. Im Praktikum lernte ich, hochwertige Ledertaschen und -schuhe zu entwerfen und herzustellen. Noch bevor ich zurückkehrte, wurde ich auf die Brillenmarke Götti aufmerksam. Die Brille als Objekt finde ich unfassbar interessant, sie hat so vielen Anforderungen standzuhalten. Sie ist fast immer medizinisch notwendig, darf auf keinen Fall stören und bietet gestalterischen Freiraum, von modisch dezent bis zu «auffallen um jeden Preis», als stilistisches Statement.
Im Brillendesign geht es um Gefühl und Intuition. Es gilt, dem Trend voraus zu sein, sonst ist man meist zu spät. Bei Götti legen wir Wert auf hohe Qualität, auf ein schlichtes, zeitloses Design. Natürlich darf aber auch das Ausgefallene nicht zu kurz kommen. Beim Entwurf für Oprah liessen wir uns von den Formen inspirieren, die sie sonst trägt, also oft runde Modelle. Die Schwierigkeit bestand darin, dass wir nicht überprüfen konnten, ob ihr steht, was wir kreieren, ob es harmonisch wirkt. Wir mussten uns an Fotos von ihr orientieren, anhand deren wir die Prototypen abgleichen konnten.
Überrascht, dass sie beim Interview unsere Brille trug, waren wir nicht. Verschiedene Götti-Modelle trug sie bei anderen Interviews – etwa mit Barack Obama, Lady Gaga oder Mariah Carey. Uns erstaunte vielmehr, welche Beachtung der Brille widerfuhr. Nicht nur das Gespräch erhielt viel Aufmerksamkeit, plötzlich sprach die ganze Welt über die Brille. Da realisierte ich, was abging. Natürlich bin ich superstolz, dass ich bei diesem Erfolg meine Finger im Spiel haben durfte. Ich glaube, langsam verstehen meine Familie und meine Freunde auch, was ich den ganzen Tag lang mache. Wenn mich heute jemand nach meinem Beruf fragt, kann ich sagen: «Hast du das Interview mit Meghan und Harry gesehen? Oprahs Brille? So was mache ich.»
Aufgezeichnet von Roman Zeller