Inzwischen wird Sepp Arnold sogar auf Kuba erkannt

Die Videos mit dem Urner Bauer Sepp Arnold, 76, sind im Internet ein Riesenerfolg. Auf allen Kanälen ist der älteste Influencer der Schweiz präsent: auf Tiktok, Instagram, Youtube. Er selber nutzt sein Handy nur zum Telefonieren.

Veröffentlicht in Die Weltwoche, 10. Juni 2020

Bild: Roman Zeller.

Bild: Roman Zeller.

Ein Social-Media-Star, der über sein Handy nicht erreichbar ist? Auch das gibt es. Seit einer halben Stunde warte ich vor der Dorfpost im urnerischen Bürglen auf den 76-jährigen Kult-Bauer Sepp Arnold. Immer wieder rufe ich ihn an, jedes Mal höre ich nur seine Combox. Es regnet in Strömen. Zum Glück meldet sich seine Medienberaterin und erklärt, wie wir zueinanderfinden. Er, Arnold, habe das Treffen nicht vergessen, einfach die Postautohaltestelle an der Hauptstrasse gemeint – wo er in seinem Auto hockt und seit dreissig Minuten den Scheibenwischern zuschaut, wie sie hin- und herschwingen.

Der Publikumsliebling aus der 13. Staffel «Bauer, ledig, sucht . . .», der sich mit «Sepp» vorstellt, fasst sich an die Stirn, als wir uns treffen und er das Malheur realisiert. Er lacht herzhaft, so dass es seinen flauschigen Vollbart schüttelt. «Ich habe schon ein Handy», erklärt der Mann, der auf Tiktok, Instagram und Youtube Millionen begeistert. «Die Batterie war leer, bevor ich aus dem Haus ging.» Und überhaupt, fährt Sepp fort, dass man die Post mit Google Maps – also «übers Internet» – finde, sei ihm nicht bewusst gewesen. Sein Gerät nutze er hundskommun zum Telefonieren. Ein SMS habe er noch nie geschrieben. 

Millionen finden’s toll

Sepp startet den Motor und rollt die Bergstrasse hoch zum Restaurant «Kinzigpass», zu seiner Stammbeiz, wo er täglich einkehrt. In der Wirtschaft kennt und grüsst er die beiden einzigen Gäste, zu denen wir uns an den runden Tisch setzen. Hinter Sepp hängt ein Bild von ihm, auf dem er Claudia im Arm hält, seine Claudia, die er in der «Bauer, ledig, sucht ...»-Kuppelshow kennen- und lieben lernte und mit der er seither zusammenwohnt.

Peter, ein Handwerker, der gegenübersitzt, bemerkt lachend: «Sepp ist hier unser Promi», um neckisch anzufügen: «Der zweitberühmteste Bürgler, gleich nach Wilhelm Tell.» Das hat etwas, die Plätze eins und zwei könnten aber auch vertauscht sein. Klar, jedes Kind kennt den Mythos um den Urschweizer Armbrustschützen. Aber praktisch jeder Schweizer Teenie kennt eben auch die Clips mit Sepp, die seit Juni 2018 in den Social Media kursieren. Über 300 000 Tiktok-Nutzer sahen, wie der kecke Bauer mit Hosenträgern in einem Mercedes AMG von einem Polizisten angehalten wird, schlagfertig den Rowdy mimt, um nebenbei gelassen an der Schischa zu ziehen, zeitgemäss cool halt.

In Zürich auf der Pirsch

Sepp reiht sich ein in ein auffälliges Phänomen: dass Social-Media-Clips mit Älteren in der Haupt- oder Nebenrolle bei Jungen besonders gut ankommen. Bei Tiktok singen und tanzen Mütter auf den Profilen ihrer Töchter, sehen dabei aus, als wären sie deren Schwestern, und Millionen finden’s toll; die Kurzclips von Vätern, die mit dem Hashtag «dadsoftiktok» versehen sind, erzielten schon über eine halbe Milliarde Klicks; und Ruth Rudd, eine 88-jährige Britin, bewegt sich vor der Kamera ihrer Enkelin zu den angesagten Songs auf Tiktok und begeistert damit mehr als dreissig Millionen Zuschauer.

Wir swipen zwischen den Videos hin und her, vor uns zwei Kaffee Träsch und eine Schüssel Salzstängeli. Für den Bauern im Ruhestand ist klar, weshalb er einen solchen Hype auslöste: «Das ist wegen meines Ürner Dialekts und wegen meiner Originalität.» Bereits im Fernsehen war er äusserst beliebt. Trifft nun sein urchiges Gemüt auf die urbane Handy-Jugend – und das auf Tiktok, Instagram oder Youtube, wo sonst nur wippende, lippensynchron singende Teenies anzutreffen sind –, geht der Beitrag durch die Decke. Diese atypische Konstellation von Jung und Alt erkannte der 30-jährige Zeki Bulgurcu, ein Online-Star, der 2019 den Swiss Comedy Online Award gewann und mit Sepp zusammen Social-Media-Beiträge produzierte.

Sepp erinnert sich, Bulgurcu habe ihn nach der ausgestrahlten Sendung für eine Zusammenarbeit angefragt – und trinkt den letzten Schluck seines Kaffees. Die Ideen des Online-Comedian habe er nicht schlecht gefunden, lustig auf jeden Fall, obwohl er das Ganze nicht wirklich verstanden habe. Auch die Jugendsprache – «Amina koyim» statt «Gopferdeckel» – sei ihm fremd gewesen.

Teilweise hätten sie nachmittagelang gedreht, sagt der Bauer, der seinen Hof mit Geissen und Kühen nicht häufig verlässt. Mit Zeki sei er in Zürich auf der Pirsch gewesen, in einer Schischa-Bar für eine Szene, dann in Solothurn. Oft sei das Setting aber auch sein Bauernhof gewesen – den er 1973 übernahm, nachdem sein Vater und kurz darauf seine Mutter gestorben waren. Heute führt seine Tochter mit ihrem Lebenspartner den Betrieb.

Teenies stehen Schlange

Mit den Videos wurde Sepp immer bekannter: «Ich wusste, das hat ein Haufen gesehen. Dass es Millionen sind, war mir aber nicht klar. Ich habe das irgendwann mal gehört und konnte es kaum glauben.» Seine vier Enkelkinder – das älteste ist zehn-, das jüngste zweijährig – sprechen von ihm als berühmtem Grosspapi. Dass er auf Social Media wohl der bekannteste 76-Jährige sei, «ist halt jetzt einfach so», wie er trocken, schalkhaft sagt. «Likes sind für mich positiv.» Ob er sie auf Tiktok, Instagram oder Youtube erhält, kümmert Sepp nicht.

Seit 2018 werde er permanent angesprochen, junge Mädchen und Burschen stünden Schlange, egal, wo er hinkomme. Ob am Flughafen, ob in den grossen Städten, alle wollten ein Selfie mit ihm, was er nicht ungern über sich ergehen lasse. Besonders erstaunt ihn, dass er sogar im Ausland erkannt wird: in Portugal, wo er kürzlich war, und auf Kuba. «Auch eine Frau aus Kanada wollte mit mir ein Foto machen.»

Was als Spass begann, führte zu Werbeaufträgen. Sepp wurde Influencer, was er wie folgt bestätigt: «Ah ja, das Werbe-Ding.» Er lächelt hinter dem Bart. Über die Arbeit freue er sich enorm, auch wenn er nicht genau wisse, wie das im Internet funktionieren soll – muss er auch nicht. Er sei glücklich und zufrieden mit seinem Leben, wie es ist, sagt er, als wir uns vor der Post verabschieden. Dort leert Sepp zwei Mal pro Woche sein Postfach. Einen Computer mit Internet hat er nicht.

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