«An der Liebe sind wir nicht gescheitert»

Tamy Glauser und Dominique Rinderknecht, das berühmteste Lesbenpaar der Schweiz, ist nicht mehr. Über den Anfang vom Ende wollten Tamynique schweigen. Bis die Weltwoche anklopfte. Von Michael Bahnerth und Roman Zeller

Veröffentlicht in Die Weltwoche, 22. Dezember 2020

Bild: Linda Pollari.

Die Liebe sucht sich ihren eigenen Weg. Immer, und manchmal verläuft sie sich dabei und macht Umwege, läuft sich selbst nicht mehr in die Arme, sondern davon, manchmal bleibt sie einfach stehen. Und ganz selten scheint sie all das zu tun und trotzdem auf dem richtigen Weg zu bleiben. Als zuerst Dominique Rinderknecht und dann Tamy Glauser, dieses Traumpaar, das sich im November trennte, in die «Tina-Bar» kam, konnte man sehen und, ja, fühlen, dass hier zwei Menschen sind, die weder sich selbst noch die Liebe verloren haben, trotz ihrer Entscheidung, sich freizugeben. Jetzt sind sie vielleicht kein Traumpaar mehr, aber immer noch zwei Menschen mit einem Traum.

Weltwoche: Wir hatten beim Shooting gerade den Gedanken, dass ihr wie ein Traumpaar mit verlorengegangenem Traum seid.

Tamy: (Lacht)

Domi: Jöh, das ist herzig.

Weltwoche: Ist da noch ein Traum nach eurer Trennung im November?

Domi: Der Traum ist, dass wir immer ein Teil vom Leben des anderen sind.

Tamy: Genau. Es spielt keine Rolle, welche Art Beziehung wir leben. Wir tragen einfach eine gegenseitige Verbundenheit in uns.

Weltwoche: Für immer?

Tamy: Auf jeden Fall.

Weltwoche: Jahrelang habt ihr für die Ehe für alle gekämpft, jetzt kommt sie, aber ihr seid kein Paar mehr. Das ist doch doof . . .

Domi: Die Ehe für alle hat nichts mit unserer Liebe zu tun. Ich freue mich auf den Moment, wenn sie wirklich gesetzlich verankert ist.

Tamy: Für mich ist es ein Schritt in die richtige Richtung, aber wir sind noch nicht am Ziel. Vielleicht gibt es ein Referendum, dann kommt es vors Volk.

Domi: Ich glaube an das Volk!

Weltwoche: Kommt dann die grosse LGBTQ-Heiratswelle?

Tamy: Nicht mal gross. Mir persönlich geht es nicht darum, dass ich heiraten möchte. Mir geht es um eine Gleichstellung vor dem Gesetz.

Weltwoche: Es geht also ums Prinzip?

Domi: Ich glaube schon, dass viele nicht nur die gesetzliche Gleichstellung, sondern auch heiraten möchten.

Weltwoche: Jetzt, wo der rebellische Kampf bald zu Ende scheint, fürchtet ihr euch davor, dass ihr gewöhnlich werdet wie alle andern?

Tamy: Auf eine Art hoffe ich, dass es zu etwas Normalem wird. Ich muss im Leben kein Rebell sein, um zur Erfüllung zu gelangen.

Domi: Wenn man es mit den Frauenrechten vergleicht, sieht man, dass es, auch mit gesetzlicher Grundlage, sehr lange dauert, bis die Gleichstellung gesellschaftlich angekommen ist.

Weltwoche: Findet ihr nicht, dass die Ehe ein überaltertes Modell ist?

Tamy: Stimmt, im Grunde braucht man sie nicht. Dass sie ein Modell ist, das nicht wirklich funktioniert, sieht man auch an den Scheidungsraten. Wenn ich aber als lesbische Person sage, die Ehe brauche es nicht, fahre ich mehr an die Wand, als wenn ich sage, ich möchte die gleichen Rechte. Wenn wir dann dieselben Rechte haben, können wir die Ehe abschaffen.

Domi: Genau. Oder darüber diskutieren.

Weltwoche: Tamy, was fasziniert dich an der Ehe? In deinem Buch schreibst du, dass du dich darüber aufgeregt hättest, dass deine Stiefeltern nicht verheiratet waren.

Tamy: Wir hatten alle einen anderen Nachnamen. Wenn wir reisten, gab’s beim Check-in jedes Mal Theater. Also, es war das Verlangen nach einer «normalen» Familie.

Weltwoche: Träumtest du je von einer perfekten Hochzeit? So ein Märchen-Prinzessinnen-Ding?

Tamy: Nein. Ich dachte immer, ich selber könnte nie heiraten, weil es mir so peinlich wäre, vor all den Leuten zu küssen. Horror.

Weltwoche: Wie war das bei dir, Dominique?

Domi: Ja, schon.

Tamy: Du träumst immer noch davon.

Domi: Aber mehr, weil ich solche Feste liebe.

Tamy: Du liebst es auch, dich in Szene zu setzen.

Domi: Ja, ich habe diesen Traum, auch wenn meine Eltern nie verheiratet waren. Sie trennten sich früh. Das gab mir eine realistische Perspektive bei Beziehungen. Ich bin dankbar, dass sie auch danach ein gutes Verhältnis zueinander hatten. Und nicht in einer scheinheiligen Ehe lebten, die nach aussen super scheint, innerlich aber eine Katastrophe ist. Ich träumte lange von Hochzeit. Heute träume ich von einem Fest der Liebe.

Weltwoche: Wie sähe dieses Fest aus?

Domi: Es wäre eine Riesenparty.

Tamy: Eine Woche lang, auf einem Segelboot.

Domi: Ich würde ein weisses Kleid tragen. Mega fabulous.

Weltwoche: Und du, Tamy?

Tamy: Definitiv kein Kleid, ich könnte dann nicht mit Leuten reden. Vielleicht ein Hosenanzug, in Richtung Jean-Paul Gaultier, vielleicht sogar in Weiss, aber sicher kein Kleid.

Domi: Weil weiss einfach mega geil ist.

Weltwoche: Warum kein Kleid, Tamy?

Tamy: Ich fühle mich darin nicht wohl, schon als Kind nicht. Es gab nur ein Röckchen, das ich schön fand, ein pinkes Tutu. Aber wegen des Nicht-Reden-Könnens in einem Kleid . . . ich fühle mich unwohl, und das blockiert mich dann. Worüber ich mir Gedanken oder auch Sorgen gemacht habe, war aber vielmehr der Ehering.

Weltwoche: Weswegen?

Tamy: Weil ich Angst hätte, ihn zu verlieren.

Weltwoche: Würdest du einen tragen?

Tamy: Ja.

Domi: Die Frage ist, wie lange sie ihn hätte.

Tamy: Ich sage immer: «Babe, einfach dass du das weisst: Wenn ich ihn verliere, ist es nicht, weil ich dich nicht lieben würde, sondern, weil ich ich bin und andauernd Sachen verliere.»

Weltwoche: Ihr kommt so rüber, als ob ihr glücklich verheiratet wärt . . .

Domi: (Lacht) So geil.

Tamy: Genau. Jetzt gehen wir getrennt ein bisschen Party machen, und dann ziehen wir zusammen.

Weltwoche: Ihr bräuchtet ein Schloss, mit West- und Ostflügel und einer Begegnungszone.

Domi: Du weisst genau, was wir wollen. Und noch einen Flügel für die Kinder. So, ich muss jetzt aufs WC.

Weltwoche: Tamy, bist du sehr erschrocken, als du feststelltest, dass du lesbisch bist?

Tamy: Das war Horror. Der erste Gedanke war: «Why me?» Ich war siebzehn, 2002. Es war ein wenig, wie wenn ich HIV-positiv getestet worden wäre. Sechs Jahre lang habe ich das verleugnet. Ich ging nach New York. Wenn ich in Bern geblieben wäre, hätte ich mich vielleicht nicht geoutet. Am schwierigsten war der Kampf mit mir selber. Du wächst auf, siehst, wie es sein sollte. Dann realisierst du, dass du das nie haben wirst, wenn du dich selber bist. Das war das Drama. Das Problem war, dass ich mich zu lange angepasst hatte. Ich sah aus wie ein Bub, ich war brauner als die andern, ich war anders. Dann liess ich mir die Haare wachsen, zog die Brille aus – plötzlich war ich ein Cool-Kid, aber ich war nicht mehr ich selbst.

Weltwoche: War es ein Schock für dich, Dominique, als du merktest, dass du bi bist?

Domi: Nein, ich hatte ja Beziehungen mit Männern vor Tamy. Es war nicht so, dass ich mich entscheiden musste. Diese Pansexualität war plötzlich da. Als ich mich in Tamy verliebte, war mir das alles scheissegal.

Tamy: Ich muss noch was sagen. Ich war zutiefst beeindruckt, wie sehr ihr das alles egal war. Ich schlug vor, wir könnten unsere Liebe geheimhalten. Domi sagte: «Nä, ich stelle dich meiner Familie vor.» Dort sagte sie: «Das ist Tamy, wenn jemand ein Problem hat, ist es seines.»

Domi: Ja, da war ich radikal.

Weltwoche: Wenn Dominique sich jetzt in einen Mann verlieben würde, wie sehr würde das schmerzen, Tamy?

Tamy: Ach, in erster Linie ist mir wichtig, dass es ihr einfach gutgeht. Wichtig ist, dass wir in irgendeiner Form unsere Beziehung haben können.

Weltwoche: Eine Ehe verändert die Liebe. Da ist immer ein Mensch da, die Gewohnheit, der Alltag, Abnutzung.

Domi: Stimmt. Das ist schwierig.

Tamy: Was ich schwierig finde, ist das mit dem Sich-Gehören. Ich komme alleine auf die Welt und gehe alleine. Aber dazwischen stelle ich mir mehr vor, dass man sich entschliesst, den Weg zusammen zu gehen. Nebeneinander. Das heisst nicht, dass man aufeinander zuläuft und dann gibt es nur noch das.

Domi: Und man immer im selben Ding bleibt.

Tamy: So würde keiner von uns glücklich. Darum finde ich das Sich-Begegnen und dann gemeinsam in die richtige Richtung laufen schön. Dann schaut man mal links, mal rechts. Aber man weiss, man hat einen Anker.

Domi: Ich finde es schwierig, Versprechungen zu machen, was das Morgen anbelangt. Man kann, wie Tamy sagte, miteinander einen Weg gehen, aber eigenständig bleiben.

Weltwoche: Das macht ihr ja jetzt.

Domi: Voll. Es ist fast ein kleines Wunder.

Tamy: Darum haben wir ja auch dieses Instagram-Video gemacht.

Domi: Genau, wir dachten: «Komm, wir stossen darauf an.» Weil es eben nicht das Ende ist, sondern nur eine neue Form.

Weltwoche: Wie ist denn jetzt der Status quo?

Tamy: Wir sind Partner, immer noch. Einfach nicht mehr in einer gesellschaftlich definierten Beziehung. Domi geht ihren Weg, sie muss sich entdecken. Das Gleiche gilt für mich.

Domi: Es ist einfach gut, so, wie es ist. Alle wollen Erklärungen und Definitionen. Aber es gibt jenseits davon viele Möglichkeiten.

Tamy: Wir mussten entscheiden, weil unser Topf voll war: Nehmen wir einen neuen? Oder überfüllen wir den, den wir haben, bis er bricht?

Domi: An der Liebe sind wir nicht gescheitert.

Weltwoche: Ihr liebt euch, in welcher Form auch immer, aber gemeinsam hattet ihr fette Jahre.

Domi: U huere.

Tamy: Mega. Und sie gehen weiter.

Weltwoche: Wie geht’s weiter?

Domi: Ich werd’ wahrscheinlich ein paar Monate nach Südafrika gehen, den Segelkurs machen, den ich seit Jahren machen wollte.

Weltwoche: Tamy?

Tamy: Bali vielleicht, surfen. Und dann auf dem Heimweg in Südafrika vorbei.

Domi: Im April haben wir einen Job.

Tamy: Echt? Habe ich vergessen.

Domi: Ich weiss jetzt gar nicht, ob das schon spruchreif ist...

Tamy: Was, denn?

Domi: Egal...

Weltwoche: Das Label Tamynique funktioniert noch?

Tamy: Sicher.

Domi: Wir stehen ja immer noch für das Gleiche, wir sind ja Tamy y Nique. Sagt mal, sind wir eigentlich fertig mit dem Interview?

Weltwoche: Schön wäre, wenn ihr euch gegenseitig noch eine Frage stellen würdet.

Tamy: Dann muss ich zuerst noch was trinken.

Weltwoche: Kein Problem. Die schönste Frage wäre natürlich: Willst du mich heiraten?

Domi: Ah, jösses.

Tamy: Was?

Domi: Ob wir heiraten wollen, das sei die schönste Frage.

Tamy: Ah.

Domi: Das hättet ihr wohl gerne. (Lacht)

Weltwoche: Wir dachten nur, weil ihr zwar getrennt seid, euch aber nicht so fühlt.

Domi: Wir haben eine tiefe Verbundenheit zueinander, schon immer. Und die bleibt. Als wir uns das erste Mal begegneten, hatten wir das Gefühl, wir würden uns ewig kennen.

Tamy: Und ich dachte, das sei so ein One-Night-Stand-Ding.

Weltwoche: Wo war das, das erste Treffen?

Tamy: Im «Kaufleuten»?

Domi: Nein, früher, auf Instagram.

Tamy: Ja. Du hast mich mal auf einer Show gesehen und mir dann geschrieben. Ich dachte: «Oh, Miss Schweiz, noch nie gemacht, schauen wir mal.»

Domi: Sie hat mich fasziniert. Sie ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Auch Wochen später nicht. Ich wollte nach Paris, wo Tamy war.

Tamy: Irgendwann schrieb ich nicht mehr, das fand Domi doof. Dann sahen wir uns aber zufällig an einem Event in der Schweiz. Domi sass auf einem Sofa, gegenüber eine Moderatorin.

Domi: Sie platzte einfach rein.

Tamy: Ich sagte: «Hey, salü, geits guet?» Mir sagte jemand, ich solle aus dem Bild. Ich sagte, ich hätte jetzt gerade gar keine Zeit, und umarmte sie. Dann ging ich wieder.

Weltwoche: Sehr cool.

Tamy: Ja, das war einer der coolsten Momente in meinem Leben.

Domi: Jaaa. Ich dachte: «Wow, was für ein geiler Siech!»

Weltwoche: Tamy, was sind die besten Eigenschaften von Domi?

Tamy: Verständnis, Geduld, Einfühlsamkeit, Feinfühligkeit. Auch wenn ich so wirke, ich bin kein einfacher Mensch. Ich überlege mir zu viel. Und ich finde, ich verdiene nicht so viel, wie sie mir gegeben hat. Das machte es nicht leichter.

Weltwoche: Was war das Wichtigste, das Domi dir beigebracht hat?

Tamy: Dass ich Liebe verdient habe.

Domi: Jöh.

Weltwoche: Und du, Domi?

Domi: Sie ist ungemein kreativ, inspirativ. Sie lehrte mich, auf den wahren Kern des Daseins zurückzufinden.

Weltwoche: Habt ihr nicht das Gefühl, ihr seid füreinander geschaffen?

Domi: Doch. Wir sind ja auch noch im Leben des andern. Das ist unglaublich geil, was wir haben.

Tamy: Yeah.

Weltwoche: Wie gross ist die Trauer darüber, dass der Topf voll war?

Tamy: Wir waren zusammen traurig, weil etwas zu Ende ging, aber wir wussten auch, es war nicht das Ende.

Weltwoche: Zurück zu den Fragen an den andern . . .

Domi: Tamy, was wünschst du dir für dich?

Tamy: Dass ich zufrieden bin. Mehr zu geben als zu nehmen in meinem Dasein. Meine Frage ist ein bisschen banaler . . . Lädst du mich zu deiner Hochzeit ein, falls du jemand anderen heiratest?

Domi: Ja. Definitiv.

Tamy: Bin ich deine Brautjungfrau?

Domi: So geil. Könnte ich mir vorstellen, aber die Frage ist . . .

Weltwoche: Die Frage ist ja: Falls . . .

Domi: Ja, eben. Aber ich hab sie beantwortet: Ja!

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