Hausmeister zu Eugensberg

Das Schloss in Salenstein wurde für über dreissig Millionen Franken verkauft. Der neue Besitzer, 38, heisst Christian Schmid und ist Internetunternehmer. Viel mehr wusste man nicht – bis jetzt.

Veröffentlicht in Die Weltwoche, 13. März 2019

Bild: zVg.

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Sie komme fast jeden Tag hierher zum Schloss Eugensberg, sagt eine 65-jährige Rentnerin aus Salenstein TG, blickt nach unten zu ihrer quirligen Hündin, einer Kreuzung zwischen Wind- und Schäferhund. Über Kieswege führt sie uns dem Grundstück entlang an den gusseisernen Toren mit dem Schriftzug «Eugensberg» vorbei und zeigt durchs Dickicht auf das Schloss im klassizistischen Stil, das einst Eugène de Beauharnais, der Stiefsohn Napoleons, zwischen 1819 und 1821 erbauen liess.

Mäusebussarde kreisen über unseren Köpfen, und nach dreissig Minuten zu Fuss erreichen wir die Burg Sandegg, eine öffentliche Aussichtsplattform. Das sei ihre Lieblingsstelle, sagt die Dame, hier habe sie mit ihrer Mutter gerne Champagner getrunken und die Sonnenuntergänge über dem türkisfarbenen Untersee angeschaut. Dass das Schloss Eugensberg verkauft worden sei, begrüsse sie; dass alles verwaise, auch der Gutshof mit dem verwilderten Gewächshaus, sei schade: «Es braucht wieder Leben.» Wer genau der Käufer ist, wisse sie nicht, sagt sie und setzt den Spaziergang fort.

Kaum mehr als die Dame wissen die Journalisten: Ein «geheimnisvoller Käufer» (Die Ostschweiz), offenbar ein «Internetmillionär» (Luzerner Zeitung), habe das Anwesen erworben. Der Weltwoche nun gibt Christian Alexander Schmid, das «Gespenst von Schloss Eugensberg» (Blick), erstmals umfassend Auskunft über sein Leben.

Wir erwischen ihn und seine Frau in Kairo auf einer Ägypten-Rundreise, «durch die Pyramiden kriechend», wie Alexandra Schmid am Telefon sagt. Ihr Mann schreibt später per Mail, es sei «ärgerlich» und «ungünstig», aber rein zufällig, dass sie gerade jetzt abwesend seien. Trotzdem freue er sich, bald in Salenstein leben zu können. Der 38-Jährige möchte möglichst wenig in der Öffentlichkeit stehen, wie er mitteilt, gleichzeitig sei es ihm wichtig, der Bevölkerung vor Ort einen Eindruck seiner Person zu vermitteln.

Erste Firma als Teenager

Christian Schmid ist Deutscher. In Süddeutschland geboren, zog seine Familie nach Mülheim ins Ruhrgebiet, wo er die Schule besuchte. Seine Eltern führten ein mittelständisches Unternehmen, was ihn zur Selbständigkeit angetrieben habe, wie Schmid sagt. Er habe bereits in jungen Jahren gemerkt, dass «das Geld nicht auf monatlichen Gehaltschecks» daherfliege. Schmid erzählt, dass er sich durchbeissen musste und dass für ein Studium keine Zeit vorhanden war. «Von nichts kommt nichts», sagt er. Für ihn habe früh gegolten, dass man nur Geld verdiene, indem man eine Firma gründe. Er sei dem Unternehmergeist seiner Eltern gefolgt, etwas anderes sei nie in Frage gekommen. Als er etwa siebzehn oder achtzehn Jahre alt war, machte er sich selbständig – «so genau erinnere ich mich nicht mehr», so Schmid.

Sein erstes Projekt, ein Onlineshop-System namens Rapidtec, ist Schmid hingegen präsent: «Konsumenten konnten sich im Internet mit wenigen Klicks relativ einfach Artikel von Vertriebsfirmen kaufen.» Dafür eingerichtet habe er einen Warenkorb und einen Check-out. Das war vor zwanzig Jahren, als der Verkaufsriese Amazon noch in den Kinderschuhen steckte. Gewonnen habe er unbezahlbare Erfahrungen, sagt Schmid. Geld sei «eher weniger» geflossen.

Um Dimensionen erfolgreicher beurteilt er sein zweites digitales Unterfangen. Schmid gründete die Plattform Rapidforum über die sich Website-Betreiber ohne grossen Aufwand ihr eigenes Kommunikationsforum einrichten konnten. «Hier habe ich zum ersten Mal richtig Geld verdient», sagt er und nennt keine Zahl. Schmid ist sich nicht einmal sicher, ob es für die erste Million gereicht habe – das sei ohnehin sekundär gewesen. «Zum Leben hat das Geld gereicht.» Er wollte Erfahrungen sammeln, eine bestmögliche Dienstleistung bieten.

Sein grösster Coup

Dieses Know-how bündelte er 2002, als er den Service Rapidshare gründete, seinen bisher grössten Coup. Es handelte sich um eine Hosting-Plattform, die ursprünglich als Weiterentwicklung von Rapidforum gedacht war. Die Überlegung lautete: «Mal eben schnell grosse Dateien an eine Diskussion anhängen. Das war damals im Internet quasi unmöglich.»

In die Bresche sprang Rapidshare. 2004, zwei Jahre nach der Gründung, ging Schmids Projekt online. 2006 verlegte er den Sitz des Unternehmens nach Cham im Kanton Zug. Der Erfolg liess nicht lange auf sich warten: 2007 war Rapidshare.com die weltweit elftmeist besuchte Website. Ein Jahr später nutzten über 42 Millionen Menschen täglich den Service, und Anfang 2010 hortete Rapidshare rund 150 Millionen Dateien. Schon 2006 soll Schmid ein Einkommen von über 17,4 Millionen Franken versteuert haben, wie die Handelszeitung schrieb. Milliardär sei er aber «noch lange nicht», sagt er.

Ohnehin findet Schmid, es wäre vielleicht besser gewesen, die Plattform hätte nicht so einen Erfolg gehabt. Rapidshare sei nämlich früh als «Raubkopieplattform» wahrgenommen worden, auf der urheberrechtlich geschütztes Material illegal hochgeladen, gespeichert und verbreitet würde. «Wir verwalteten aber nicht mehr problematische Daten als Google oder Facebook.» Trotzdem folgten langjährige Verfahren in Deutschland. 2015 stellte Rapidshare seinen Dienst ein. Und seit September 2018 muss sich Schmid wegen «gewerbsmässiger Gehilfenschaft zu Widerhandlungen gegen das Urheberrechtsgesetz» in einem Zuger Strafverfahren verantworten. Experten beurteilen den Ausgang des Verfahrens als offen, schlimmstenfalls muss Schmid eine Geldstrafe zahlen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Eher Zufall

Mitverantwortlich, dass er überhaupt den Weg in die Schweiz fand, ist seine Ehefrau Alexandra, 40, aus dem Kanton Zürich. Die Programmiererin war begeisterte Nutzerin von Rapidforum und moderierte nach einiger Zeit auch das Online-Support-Forum der Firma. So haben sich die beiden vor über fünfzehn Jahren kennengelernt. Seit 2014 sind sie verheiratet und wohnen zurzeit in Küssnacht am Rigi im Kanton Schwyz.

Dass es nun eine Veränderung gibt, freut Alexandra Schmid, obwohl sie dem Schloss erst kritisch gegenübergestanden sei, wie sie sagt: «Ich fand, es wäre ziemlich verrückt, den Kauf ernsthaft in Betracht zu ziehen.» Es sei ohnehin eher Zufall gewesen, dass ihr Mann vom Verkauf gelesen habe. Ursprünglich habe er gar kein Schloss kaufen wollen, erklärt sie. Doch er habe jahrelang vergeblich nach einem Wohnhaus mit einer gewissen Mindestgrösse in schöner, naturnaher Umgebung gesucht und am Ende festgestellt, dass «fast ausschliesslich Schlösser und ähnliche Objekte» seinen Wünschen entsprächen.

Beim ersten Besichtigungstermin sei ihr Mann sofort überzeugt gewesen, dass das Schloss Eugensberg das Wunschobjekt sei, sagt Alexandra Schmid. Sie hingegen sei sprachlos gewesen. «Ich fand es etwas gar gross und dachte, dass wir uns etwas weniger abgehobenen Plänen widmen sollten.» Doch beim erneuten Besuch haben sich die beiden bereits Gedanken über die Einrichtung und die Nutzung der Räume gemacht, und jedes weitere Mal verwandelte sich das Vorhaben für sie immer mehr von «verrückt» in «unser zukünftiges Haus».

Sanieren und spazieren

Und wie stellt sich das Paar sein künftiges Leben als Schlossbesitzer vor? Alexandra Schmid starte gerade ihre eigene Firma im Bereich Inneneinrichtung, etwas ganz anderes als bisher, wie sie sagt. In der Freizeit wolle sie vermehrt Bücher lesen und Ruhe einkehren lassen. Ihr Mann beschäftige sich mit allerhand Elektronik, mit dem 3-D-Druck, mit Mechanik und Physik. Er selbst findet, eine Trennung von Arbeit und Freizeit sei bei ihm nicht möglich: «Mein Gehirn schreit nonstop nach Erklärungen für Ungeklärtes.»

Konkrete Pläne für neue Projekte habe er aber nicht, nur Ideen. Europa sei als Gründungsstandort für einen Internetgiganten «nicht reif genug», sagt Schmid. «Dafür geht man in die USA.» Er wolle lieber sein Leben im Schloss planen. So habe er sich fest vorgenommen, bald täglich auf den Kieswegen auf seinem Anwesen zu spazieren. Er komme viel zu selten raus.

Erst einmal stünden jetzt aber «umfassende Sanierungsarbeiten» an, sagt Schmid. Seit September 2017 steht das Schloss inklusive Gutshof, Weiler und Badehaus leer. Es gibt viel zu tun, bis die landwirtschaftlichen Flächen verpachtet und bewirtschaftet werden können. Der Zaun um das Grundstück ist streckenweise eingedrückt, einige Tore lassen sich problemlos beiseiteschieben, und ein Scheunentor knallt beim Vorbeispazieren auf und zu. Die Arbeiten sollen möglichst bald beginnen, so Schmid. Er will in einem Jahr erst in das Gutshaus und zwei Jahre später in das Hauptgebäude einziehen – als Hausmeister, nicht als Schlossherr, wie er sagt.

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