Geschenk vom Himmel

Im Oberengadin planen drei Investoren und ein Stararchitekt ein Vierzig-Millionen-Projekt. Die Frage ist, ob die Bevölkerung von La Punt Chamues-ch das Dorfzentrum dafür hergibt.

Veröffentlicht in Die Weltwoche, 6. März 2019

Bild: unsplash.com.

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Es gehe ihm gut, und er sei mit wenig zufrieden, sagt Jakob Stieger, betätigt die Kaffeemaschine im Gemeindehaus von La Punt Chamues-ch und blickt in Richtung des «Schleppliftes», wie er ihn nennt, am nahen Schattenhang. Im selben Atemzug kommt er auf eine Zehn-Millionen-Überbauung mit Wohnungen für Einheimische und Gewerbeläden zu sprechen, dann auf ein Vierzig-Millionen-Projekt, einen Co-Working-Space mit flexiblen Arbeitsplätzen. Meine Bemerkung, dass das nicht gerade wenig sei, bringt ihn zum Lachen. «Wir müssen etwas machen.»

Stieger ist Präsident von La Punt Chamues-ch, einem Dorf zwischen St. Moritz und Zernez, und erklärt, dass sich La Punt – wie andere kleine Bergdörfer auch – in einer «Abwärtsspirale» befinde. In den letzten zwei Jahren habe die Gemeinde etwa vierzig Einwohner verloren. Der Wegzug von Familien schmerze bei insgesamt fünfundzwanzig Primarschülern besonders und gefährde den Schulbetrieb; die Bankfiliale sei geschlossen und der Postschalter im Dorfladen integriert. «Uns gehen Bewohner und – damit verbunden – Arbeitsplätze verloren.» Der Begriff «Schlafdorf» müsse sich ändern, so Stieger, und dass der Kanton Graubünden La Punt einst als «Dorf ohne Entwicklungspotenzial» bezeichnet hat, scheint ihn zusätzlich anzuspornen.

Vier Stimmen Unterschied

Jakob Stieger führt ins Nebenzimmer und zeigt begeistert eine 7000-Quadratmeter-Parzelle auf dem La Punter Zonenplan. Es ist der Ort, wo der «Inn Hub» entstehen soll, ein Zentrum in der Dorfmitte mit Büro- und Seminarräumen und Begegnungszone. Geplant sind eine Apotheke, Cafés und Restaurants; verbunden wird die Überbauung mit der Langlaufloipe, Velo- und Wanderwegen. Stieger nennt die Idee ein «Geschenk vom Himmel», denn die nötigen Finanzspritzen sicherten Investoren.

Der «Inn Hub» koste insgesamt vierzig Millionen Franken, sagt Stieger und blättert in den Folien des im Januar veranstalteten Informationsanlasses. Finanziell federführend seien Beat Curti, Detailhandel- und Medienunternehmer, Caspar Coppetti, Mitgründer des Laufschuhunternehmens On, und Christian Wenger, Rechtsanwalt. Alle drei besitzen ein Haus oder eine Wohnung in La Punt – und Curti sogar das schönste Patrizierhaus der Region, wie es heisst. Gemäss Stieger profitiere La Punt neben der geschenkten Investition sogar vom jährlichen Baurechtszins in der Höhe von grob 40 000 Franken.

Der «Inn Hub» befinde sich aber noch im Anfangsstadium, relativiert Stieger. Damit überhaupt gebaut werden könne, müsse von der Gemeindeversammlung am 12. April 2019 das Baurecht erteilt und in einer weiteren Abstimmung Ende 2019 die Umzonung von der öffentlichen Dorf- in eine Wohn- und Gewerbezone gutgeheissen werden.

Stieger spürt eine positive Stimmung gegenüber dem «Inn Hub». Auch der Kanton und die Präsidentenkonferenz der Region Maloja unterstützen das Projekt. Dass jedoch die Gemeindeversammlung unvorhersehbare Resultate bringen kann, weiss der 68-Jährige, der seit 22 Jahren La Punt präsidiert. So waren bei seiner Amtsbestätigung im letzten Dezember nur vier Stimmen bei 109 Anwesenden ausschlaggebend für die Wiederwahl. «Der Angriff war mir persönlich gewidmet und nicht meiner Arbeit für die Gemeinde», sagt Stieger dumpf, «aber bei den Gemeindeversammlungen kann man erfahrungsgemäss nie wissen.» Rund siebenhundert Einwohner zählt La Punt insgesamt, bei der Informationsversammlung im Januar waren hundertfünfzig Interessierte anwesend.

Leuchtturm im Alpental

Über den «Inn Hub» zu befinden, sei das gute Recht der La Punter, sagt Christian Gartmann, Medienbeauftragter des Projekts, und blickt in die Weite des Oberengadins. «Wir suchen den Dialog und wollen herausfinden, was die Bevölkerung wirklich will – wir sind in der Umsetzung flexibel.» Nach kurzem Überlegen antwortet Gartmann auf die Frage, wie er bei einer Absage reagieren würde, dass ein Nein extrem schade wäre und dass nicht alternativ in Pontresina oder Sils gebaut würde. «Der ‹Inn Hub› ist ein Projekt für La Punt», so der Medienschaffende. Den «Inn Hub» betrachtet er aber als Teil eines grossen Ganzen, als «Baustein für das Engadin und als Mosaikteilchen für Graubünden».

Primär wolle der Trägerverein Mia Engiadina das Tal zusammenbringen, sagt Gartmann: «Technologisch und räumlich.» Mia Engiadina habe sich daher zum Ziel gesetzt, ein Engadiner Glasfasernetz und eine Art Drehscheibe in den Bergen zu haben, wo Menschen zusammentreffen, arbeiten und sich austauschen können. So entstand 2016 die Idee des «Inn Hub», «eines Leuchtturms» im Alpental.

Die Digitalisierung und der Bedarf nach flexiblen Arbeitsplätzen seien die Initialzündung für das Projekt gewesen, sagt Gartmann mit zusammengekniffenen Augen wegen der strahlenden, im Schnee reflektierenden Sonne: «Wir wollen Auswärtigen das erholsame Arbeiten zeigen. Denn wer möchte nicht über Mittag eine Stunde Ski fahren oder seine Gedanken auf den Langlaufski sortieren?» Engadinern sei das vertraut. Für Firmen aus dem Mittelland zum Beispiel sei ein sogenannter Co-Working-Space, eine Büro- und Workshop-Infrastruktur mit flexiblen Arbeitsmöglichkeiten, die stündlich oder auch länger gemietet werden könne, der Türöffner für effizientes Arbeiten, bei dem man trotzdem «atmen» könne. «Das zentrale La Punt ist ideal dafür.» Man ziele mit dem «Inn Hub» auf die antizyklische Auslastung der Region ab, so Gartmann: «In der Saison platzt der Ort aus den Nähten – Firmenprojekte laufen aber typischerweise nicht während der Ferienzeit.»

Stararchitekt Norman Foster

Geht es nach Gartmann, so ist der «Inn Hub» ein «Generationenprojekt» und würde ein Treffpunkt für jedermann. Auch älteren Menschen, die sich neu orientieren wollen, würde die nötige Infrastruktur geboten, und der «Inn Hub» füge sich optisch gut ins Landschaftsbild. Denn mit Lord Norman Foster, einem Wahlengadiner und Stararchitekten, habe man einen Meister im Verschmelzen von Moderne und Tradition ins Boot holen können, der mit dem Engadin verbunden sei, sagt Gartmann: «Wenn Foster über den ‹Inn Hub› spricht, leuchten seine Augen.»

Dass vor allem jüngere Menschen angezogen würden, sieht Gartmann als Chance gegen die Abwanderungen. Microsoft habe sich bereits zur Nutzung des «Inn Hub» verpflichtet. Zusätzlich sollen auch akademische Kooperationen die Region beflügeln, sagt Gartmann: «Von der Universität St. Gallen und dem Lyceum Alpinum Zuoz aus dem Dorf neben La Punt werden Studierende in den «Inn Hub» kommen.» Christoph Wittmer, Rektor des Lyceum Alpinum Zuoz, schwebt als Fernziel gar ein Bündner Bildungsstandort vor, attraktiv genug für gutausgebildete Studienabgänger – auch im internationalen Vergleich.

Severin Candrian, 26, ist «Exil-Engadiner» und Studienabgänger. Wir treffen ihn in Zürich, wo er wohnt. Er sei in Zuoz aufgewachsen. Zwischen La Punt und seinem Heimatort liegt nur Madulain. Die Berufsmittelschule habe ihn von Zuoz nach Chur geführt. In Zürich habe er Interaction Design an der Zürcher Hochschule der Künste studiert. Candrian arbeitet bei einer Zürcher Fintech-Firma nahe dem Bürkliplatz.

So sei es auch seinen einstigen Mitschülern ergangen, erzählt er: «Von meinen zwanzig Schulfreunden sind fast alle weg von Zuoz.» Trotzdem ziehe es ihn, wie auch viele seiner Freunde, häufig zurück in die Heimat. «Von November bis Februar gehe ich jedes Wochenende nach Hause.» Hauptgrund sei seine Hockeymannschaft, in der er immer noch spiele und die ohne Auswärtige nicht bestehen könnte.

Vom «Inn Hub» ist Candrian begeistert und, auf ihn angesprochen, sofort Feuer und Flamme: «Als ich von den Plänen gehört habe, dachte ich: ‹Endlich, geil!›» Als Designer benötige er nur den Laptop als Arbeitsgerät. Eine Infrastruktur wie die des «Inn Hub», wo sich kreative Köpfe treffen und austauschen könnten, brächte ihn sofort zurück. Es verbinde ihn viel mit seiner Heimat, sagt Candrian. «Nur schon die romanische Sprache.» Von negativen Stimmen habe er bisher nichts gehört, was die Umfrage in seinem Hockey-Chat bestätigte.

Retter des Hotels «Krone»

«Hoffentlich gibt es keine Lärmklagen oder Baueinsprachen», sagt Sonja Martin, Gastgeberin vom Hotel «Krone» in La Punt, «aber wo Neues entsteht, fallen halt Späne». Das Hotel liegt direkt neben dem Grundstück, auf dem der «Inn Hub» geplant ist. Martin findet den «Inn Hub» sowohl für die «Krone» als auch für das ganze Engadin als grosse Chance.

Gerade zu Investor Curti habe Martin eine spezielle Beziehung. Er sei es gewesen, der 2002 das Hotel «Krone» vor dem Konkurs bewahrt habe. Curti, dessen Frau in La Punt verwurzelt ist, habe das Hotel finanziell komplett saniert und rentabel gemacht. Nun, fast zwanzig Jahre später, wolle Curti erneut helfen, so Martin: «Aus Liebe zu La Punt.»

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