Eine Frage des Prinzips
Seit 2016 sind im Brienzer «Bären» Burkas verboten. Verantwortlich dafür ist Monique Werro. Mit Religion habe das nichts zu tun, betont die Hotelière.
Veröffentlicht in Die Weltwoche, 9. Oktober 2019
Ob sie noch «ds Blatt» haben dürfe, fragt die 80-jährige Monique Werro ihren tunesischen Kellner. «Was?», entgegnet er der Dame. «Du weisst schon welches – das Blatt von den Burkas», antwortet die Hotelière. Said, so heisst der Kellner, geht in die Küche und kommt mit einem laminierten Papier zurück. «Ein herzliches Willkommen, lieber Gast» steht auf drei Sprachen – Arabisch, Englisch und Deutsch – geschrieben. Darunter: «Wir zeigen unser Gesicht unverhüllt! Danke sehr für Ihr Verständnis und Entgegenkommen.»
Vor zwei Jahren habe dieses private Verhüllungsverbot «viel zu reden» gegeben, erinnert sich die Hotelbetreiberin, die mit ihrer Tochter Ariane Werro den Brienzer «Bären» führt, «im Hintergrund», wie sie sagt. Diese war es auch, die ihrer Mutter die Informationen zur Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot» um den Solothurner SVP-Nationalrat Walter Wobmann gesteckt hat. Was der Ständerat kürzlich klar ablehnte, wird im «Bären» seit dem Frühjahr 2016 privat durchgezogen: Verschleierte Gäste müssen ihr Gesicht zeigen. Wer auf einem Nikab, einer Vollverschleierung mit Sehschlitz, oder einem Ganzkörperschleier (Burka) beharrt, ist unerwünscht. Parteimitglied der SVP, wie bisweilen vermutet wird, ist Werro nicht. Die Unterschriftensammlung habe sie unterstützt, weil das eine «gute Idee» sei.
«Mit dem Glauben», meint sie, «hat das überhaupt nichts zu tun.» Von Vollverschleierung sei im Koran keine Rede, darüber habe sie sich erkundigt. Werro geht es um die «Machtposition der Männer» gegenüber ihren – «oftmals mehreren» – Frauen. Es könne nicht sein, dass Männer, sobald sie ihr Land verlassen, «das traditionelle Gewand gegen Shorts» eintauschten. Ihre Frauen aber müssten «Schwarz, Schwarz, Schwarz» tragen. «So kommen sie daher», sagt die Hotelière mit Nachdruck. Sie spricht von «bildhübsche Meitschi», die sich unter den Schleiern versteckten und strahlten, wenn sie die Schleier lüften dürfen. «Und wenn sie ihr Gesicht nicht zeigen wollen, dann ist das ihre Entscheidung, ihre Kultur.» Dann verweise sie die Gäste höflich an den Nachbarsbetrieb. Im «Bären», so Werro, müssten sie sich anpassen – «wie wir in Saudi-Arabien auch».
Rebellisches Meitschi
Sie streicht ihr langes blondes Haar nach hinten. An ihren Zeigefingern trägt sie je einen länglichen, schweren Silberring mit farbigen Steinen, ihre Kleidung ist bunt, die Hosen in flippigem Pink. Werro fällt auf, nicht nur äusserlich. Das wisse sie, sagt sie. «Was ich denke, sage ich auch. Das war schon immer so.»
Es ist bezeichnend, dass die in Bern geborene Grande Dame bereits mit zwölf ihren Unmut auf der Strasse kundtat. «Ich rebellierte für das Frauenstimmrecht mit einem Sit-in», erinnert sie sich. Die Polizei habe sie wegtragen und nach Hause bringen müssen. Ihr Stiefvater habe das «wunderbar» gefunden, amüsiert sich Werro. Ihre Mutter hingegen weniger: «Sie war schockiert, wie immer. Sie war eine total angepasste Frau. Sie sagte, sie brauche kein Stimmrecht» – was für ihre Tochter nie in Frage gekommen wäre.
So sei es eher ihre Grossmutter, eine Notariatssekretärin, gewesen, von der die Hotelière ihren aufmüpfigen Gleichstellungssinn geerbt habe. «Meitschi, du musst dein eigenes Geld verdienen und von den Männern unabhängig sein», soll sie Werro gesagt haben, die in der Folge die kaufmännische Bürofachschule absolvierte, weil ein Studium aus finanziellen Gründen nicht möglich war. Die Ausbildung zur Anwältin, was sie ursprünglich werden wollte, wäre für die Eltern zu teuer gewesen. Nach einer Anstellung bei der Eidgenössischen Alkoholverwaltung verschlug es sie ins Sekretariat der Uefa, des europäischen Fussballverbands. Herumgereist sei sie, schwärmt Werro. «Ich habe in erstklassigen Hotels übernachten können – ein sensationeller Job.»
Ayurveda und Jazz
Danach, mit 24 Jahren, ist sie in die Hotellerie «geschlittert», wie sie es nennt: «Meine Urgrosseltern führten eine Herberge, meine Grossmutter den ‹Bären› in Bümpliz, und meine Mutter besuchte die Hotelfachschule.» Jung und erblich vorbelastet, führte sie das Berggasthaus «Jungfraujoch» und das Hotel «Eigergletscher»; später übernahm sie in Biel das Café «Brésil» . Nach einem Spanienurlaub – 1974 – sei ihr Tochter Ariane «zugefallen», ausserehelich mit ihrem damaligen deutschen Freund. «Das war kein Zufall», betont Werro. «Ans Schicksal glaube ich nicht.»
Ebenso reingerutscht ist Werro in ihr Engagement für entführte Kinder in den 80er Jahren. Einem Stammgast, einer «bildschönen Frau», seien die drei Söhne weggenommen und nach Ägypten entführt worden, wie sie herausfand. Sie brachte den Fall an die Öffentlichkeit und stürzte sich selber ins Abenteuer. In Spanien, Tunesien oder Italien habe sie Kopf und Kragen riskiert, erinnert sie sich. Sie lacht. Sogar in Israel, wo sie wegen des Tauchens hinzog und die Liebe festhielt, kämpfte sie weiter für die Kinder, wie sie betont, «nicht für Väter und Mütter». Daneben führte sie einen Sommerferien-Klub. Das sei schön gewesen, sie habe «Schwein gehabt», bis die Intifada ihre Gäste vertrieben habe und Werro 1988 zurück in die Schweiz musste.
Dass sie sogleich in Meiringen die Direktorenstelle eines 130-Betten-Dorfs bekam, sei unglaublich. Das Hotel habe sie aber nur vier Jahre glücklich geleitet. Zu ausgefallen, sagt sie rückblickend, seien ihre Ideen für die verwaltende Gewerkschaft gewesen. Ihre Kreativität konnte Werro erst im Brienzer «Bären» umsetzen, wo sie seit 1992 eingemietet ist. Die Musikliebhaberin führte das Jazzfestival «Montreux meets Brienz» in diesem Sommer zum 26. Mal durch. 1994 brachte sie die Ayurveda-Kur aus Indien in die Schweiz. Es war eine Pionierleistung der leidenschaftlichen Hotelière, die selbst während des Mittagessens per Telefon sofort Anweisungen gibt, nachdem ihr ein Gast gemeldet hat, die Handseife sei ausgegangen. Schmunzelnd sagt sie: «Eigentlich bin ich ja heute gar nicht da.»
Als sie den «Bären» übernommen habe, erinnert sich Werro, seien Burkas noch kein Thema gewesen. «Plötzlich kamen immer mehr Araber», erinnert sie sich. Das hänge womöglich mit dem Jungfraujoch zusammen, da reisten arabische Gäste gerne hin. Wie auch nach Interlaken, wo vollvermummte Frauen oder solche mit «Schlitzen» oft zu sehen seien.
Auch in das derzeit ausgebuchte Hotel kommen an diesem Tag viele Mittagsgäste. Mit «Grüessech» begrüsst sie jede und jeden, um bei Touristen gleich ins Englische zu wechseln. «Ein Araber», sagt Werro plötzlich, als ein junger Mann eintritt. Eine Frau, geschweige denn eine vollverschleierte, folgt ihm aber keine. Das mit dem «Blatt» klappe, wenn nötig, ganz gut, erklärt Werro. «Es ist ja höflich geschrieben.» Erst einmal folgte eine Auseinandersetzung. Ein Gast mit mehreren Frauen habe die Regel nicht akzeptieren wollen. «Er legte die abgemachten 450 Euro auf den Tisch», Werro aber blieb hartnäckig. Trotzdem: «Die meisten akzeptieren mein Wort», sagt sie, weil sie eine «alte Frau» sei. Sie fügt an: «Ihre eigenen Mütter respektieren sie ja auch.»
Obwohl ihr auf diese Weise schon «mehrere tausend Stei» verlorengegangen seien, bleibe sie bei ihren Prinzipien: «In der Schweiz zeigen wir unser Gesicht. Diese Sitte kann ich nicht verkaufen. Das ist es mir nicht wert.» Selbst die Hotelvermittlungsplattform Booking.com konnte Werro nicht in die Knie zwingen, indem das Burkaverbot auf der Website nicht angezeigt werden darf. Die Betreiber, sagt Werro kopfschüttelnd, hätten ihr «Rassismus» vorgeworfen. «Wir sind multikulti», rechtfertigt sie sich energisch. Denn im Hotel arbeiteten fünfzehn Nationalitäten, die insgesamt 23 Sprachen sprächen. 23 Jahre lang habe ihr eine Frau aus Simbabwe assistiert. «Als ein Gast sagte, er lasse sich nicht von einem Neger bedienen, habe ich ihn sofort rausgeworfen und ihm Hausverbot erteilt.»
Chaoten, Hooligans, Demonstranten
Werro wiederholt, dass sie nichts gegen Araber und nichts gegen Religionen habe. Der Titel «Burka-Verbot» sei sowieso missverständlich und eigentlich falsch. Ihr gehe es um die Verschleierung, darum, dass Leute ihr Gesicht zeigen und zu ihrer Meinung stehen. Das gelte auch für Chaoten, Hooligans oder gewalttätige Demonstranten. «Wer ein Auto anzündet oder eine Scheibe einschlägt, soll wenigstens dazu stehen. Alles andere ist feige», empört sie sich und klopft auf den Holztisch.
Schliesslich stehe sie auch zu dem, was sie sage. Das beweise sie, indem sie gegenüber Zeitungen, Radio und Fernsehen Auskunft gebe und hinstehe. «Auch mit Bild?» Die Hotelière schmunzelt. «Meinen Sie das rhetorisch?», fragt sie. Beim Weg nach draussen verweist sie auf ein Blatt, das bei der Réception hängt. «Wir zeigen unser Gesicht unverhüllt!», steht da geschrieben.