«Der Löwe bleibt wild»
Der 27-jährige Dean Schneider kuschelt mit Raubkatzen und begeistert weltweit Millionen. Täglich erreichen den in Südafrika lebenden Schweizer 80 000 Instagram-Zuschriften. Um den Auswanderer und seine globale Wildlife-Show buhlen die grossen Talkshows Amerikas.
Veröffentlicht in Die Weltwoche, 13. Mai 2020
Wie wäre es mit einem Nickerchen auf einem ausgewachsenen Löwen? Oder eine Hyäne streicheln? Vielleicht doch lieber eine Giftschlange um den Hals? Was verrückt klingt, ist Dean Schneiders Leben. Der 27-jährige Schweizer lebt seit zwei Jahren in Südafrika auf seiner Hakuna-Mipaka-Ranch, von wo aus er mit Tiervideos ein globales Publikum erreicht. 7,1 Millionen Menschen folgen ihm auf Instagram – zum Vergleich: Weltstar Roger Federer hat nur eine halbe Million mehr und wird vom König der Löwen wohl bald überflügelt. Wir erreichen Schneider in der Nähe von Johannesburg, wo er mit seinen sechs Löwen, seinen Hyänen, Geparden, Schlangen und vielen weiteren Tieren wohnt. Im Nirgendwo, wie er sagt, weshalb die Telefonverbindung manchmal etwas wacklig sein kann.
Herr Schneider, Sie sind in Dübendorf geboren und aufgewachsen. Mit sechs oder sieben Jahren haben Sie Ihre Leidenschaft entdeckt: Tiere. Steve Irwin, der australische «Crocodile Hunter», war Ihr Vorbild. Was begeisterte Sie an ihm?
Er brachte es mit seinen Videos fertig, mich durch seine Begeisterung und seinen Enthusiasmus anzustecken. Durch ihn entwickelte ich die gleiche Faszination für alle Tiere: gefährliche, wilde, giftige, starke, grosse, kleine – ganz egal.
Hatten Sie als Kind Haustiere?
Immer! Als ich klein war, hatten wir einen Hund – Leo, ein Altdeutscher Schäferhund, relativ gross. Er war mein bester Freund. Nachher Meerschweinchen, Hasen. Und als ich älter wurde, legte ich mir selbst Haustiere zu – auch Schlangen. Ich hatte alles Mögliche.
Welches war oder ist Ihr Lieblingstier?
Schwierig. Ich war immer schon von vielen verschiedenen Tieren fasziniert, es wechselte ständig, je nach Lebenssituation: Einmal war der Löwe mein Idol, dann der Elefant. Jedes Tier hat Eigenschaften, Verhaltensweisen, die zu einer Lebensphase passen. Und das Leben ändert sich ja ständig. Noch heute: Ich könnte niemals sagen, zu welchem meiner Tiere ich die beste Beziehung pflege. Zum Teil hänge ich gerne mit Chuckie, der Hyäne, ab, an anderen Tagen will ich lieber mit Dexter, dem Löwenmännchen, chillen. Und dann gibt es Tage, da bin ich voll in Stimmung, um mit dem ganzen Rudel abzuhängen.
Wie kommt ein Schweizer dazu, sich in Südafrika mit wilden Tieren zu vergnügen?
Ich wollte etwas machen, was mich emotional befriedigt. Langfristig. Angefangen habe ich in der Vermögensverwaltung meines Vaters. Als KV-Lehrling. Die Lehre habe ich nie abgeschlossen, ich brach sie sogar zweimal ab.
Sie haben keine Ausbildung?
Nein, erst später habe ich mich weitergebildet. Im Finanzbereich. Zuerst aber jobbte ich im Zürcher Nightlife. Dann als Quereinsteiger in der Produktberatung. Ich verdiente gutes Geld, weil alles auf Kommission war. Da dachte ich mir: «Warum mach’ ich das nicht alleine?» Und so wagte ich es, mich selbständig zu machen. 2015 gründete ich meine eigene Firma. Ich wollte aber eine Aufgabe, die mich innerlich erfüllt, und das waren eben Tiere.
Aber: Warum Raubtiere? Warum mit Löwen spielen in Südafrika?
Wir reisten mit meiner Firma nach Südafrika, wo wir für ein paar Tage eine Villa mieteten. Die Inhaber empfahlen mir, die Farm in der Nähe zu besuchen. Dort arbeitete Jesse als Tiertrainer und -pfleger – heute ist er mein Farm-Manager und hilft mir mit meinen Tieren, die wir aus Zuchten retteten. Damals war ich sofort begeistert, wie nah ich den Löwen sein konnte, und half ihm fortan jeden Tag, die Tiere zu füttern.
Erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit einem Löwen?
Wir sahen, die Löwen reagierten positiv auf mich. Und dann ging ich mit Jesse rein zu ihnen, ohne Zaun dazwischen. Mein Herz klopfte wie verrückt, es waren ja keine Baby-Löwen, auch keine ausgewachsenen, aber doch kräftige Jugendliche. Ich dachte: «Wow, wenn die wollen, bin ich Geschichte.»
Aber: Sie wollten mich nicht umbringen, sondern einer checkte mich ab und zeigte mir sogar Liebe. Als ich ihn berührte, ist irgendetwas in mir passiert – das ist schwer in Worte zu fassen. Auf dem Rückflug hatte ich Tränen in den Augen. Ich wusste, ich muss nach Afrika, um etwas für Tiere zu machen. Zwei Jahre später wanderte ich aus.
Wie lernten Sie, mit Löwen zu interagieren?
Es gibt dafür kein Lehrbuch. Ich habe Steve Irwin hundert Mal dabei zugeschaut, wie er Giftschlagen fing. Er bewegte sich wie das Tier, um sich anzunähern. Das imitierte ich. Ich beobachtete die Löwen und lernte ihre Körpersprache, danach war alles Learning by Doing.
Sie ordnen sich im Löwenrudel unter, um nicht angegriffen zu werden. Sie könnten auch das Alphatier raushängen. Was ist der Vorteil Ihrer Annäherung?
Dass ich nicht sterbe. Mimte ich das Alphatier,würde ich von einem anderen Alphatier herausgefordert. Irgendwann. Es wäre nur eine Frage der Zeit.
Wurden Sie noch nie angegriffen?
Nein. Viele glauben, Tiere seien unberechenbar. Aber das stimmt nicht: Tiere sind sehr, sehr berechenbar – solange du ihre Körpersprache kennst. Ein Tier würde nie vorgaukeln, es wolle knuddeln, um mich darauf umzubringen, sobald ich ihm den Rücken zugekehrt habe. Das gibt es nicht. Meine Verletzungen – ich habe täglich x Kratzer, dieses, jenes – passieren nicht aus Aggression, da ist keine böse Kraft dahinter. Es geschieht spielerisch, aus Versehen, weil meine Löwen halt wilde Tiere sind.
Sind Löwen zahm, zähmbar?
Nein. Einem Löwen kannst du wie ein Dompteur zwar etwas beibringen und ihn gegenüber aussen zahm wirken lassen. Aber ihn innerlich brechen ist nicht möglich. Der Löwe bleibt wild, selbst wenn er mir zugesteht, neben ihm zu stehen.
Haben Sie Angst, Ihr Leben zu verlieren?
Gar nicht. Das kommt aber davon, dass ich das Tier verstehe. Jeder andere würde auch so reagieren, wenn er dessen Sprache beherrschte. Aber das ist schwer nachvollziehbar, ich weiss.
Tragen Sie eine Waffe bei sich – für Notfälle?
Nein. Und auch wenn: Sobald zwei Löwen auf mir liegen und mich umbringen wollen, habe ich erst recht keine Zeit, um eine Waffe zu zücken.
Wie ernähren sich Ihre Tiere?
Das Löwencamp ist 25 000 Quadratmeter gross, ohne Zebras, denn dafür wäre es zu klein. Wir sind dabei, es auszubauen. Noch fahren wir raus und suchen alte, kranke, verstossene Tiere, die wir schiessen und frisch verfüttern.
Wie denken Sie über Zoos?
Das Problem ist, die meisten Zoos bieten nicht die natürliche Umgebung. Die Besitzer wollen Geld verdienen, anstatt den Besuchern die Möglichkeit zu geben, Tiere und deren Faszination natürlich zu erleben. Das Konzept Zoo finde ich per se nicht schlecht.
Sind Ihre Tiervideos eine Art Zoo der Zukunft?
Ein Zoo hat viel mehr Tiere und Arten. Ich versuche eher, das zu machen, was Steve Irwin mit mir gemacht hat: über Tiere und ihre Fähigkeiten aufzuklären. Ich will raus in die Welt, in den Amazonas, zu den Polarbären, über das Artensterben, den Klimawandel sprechen. Dafür plane ich eine globale Wildlife-Show, mit einer Tour, Vorträgen, um die Leute für die Natur zu gewinnen. Das ist meine eigentliche Mission. Hier, wo ich lebe, ist kein Zoo, sondern mein Zuhause. Meine Tiere sind meine Familie.
Ihre Mission begleiten Millionen online. Weltweit. Wie lautet Ihr Erfolgsrezept?
Ich mache das, was ich liebe. Und diese Liebe verbreite ich über Social Media. Ich bin sehr transparent und ehrlich in dem, was ich tue.
Tierschützer kritisieren, Sie «vermenschlichten» Ihre Tiere. Was sagen Sie dazu?
Die Frage ist doch: Wer sagt das? Das sind Leute, die bei irgendeinem Magazin arbeiten und vielleicht noch nie einem Löwen gegenübergestanden sind. Über mich werden so viele absurde Vorwürfe konstruiert, die völlig weltfremd sind. Ich stecke meine Zeit aber lieber in meine Mission, anstatt sie mit diesem «Tiger King»-Zeug zu vergeuden.
Die Netflix-Serie mit Joe Exotic, dem Tiger King, einem verrückten Tierzüchter, geht viral. Was halten Sie von einem Vergleich mit Ihnen?
«Tiger King» handelt vom Krieg zwischen einem, der Tiger in Gefangenschaft hält, und einer durchgeknallten Aktivistin. Um Tiere geht es nicht, und einen Rückschluss auf mich lasse ich nicht zu. Ich liebe meine Tiere und umsorge sie! Gewisse Aktivisten wollen mich in diesen Krieg hineinziehen.
Wie verdienen Sie Geld?
Ich verdiene noch gar nichts, ich habe nicht mal einen Lohn. Mit Instagram verdiene ich keinen Cent. Ich habe keine Brand-Deals wie andere Influencer. Klar, ich könnte, wenn ich wollte. Schon bei einer Million Follower hätte ich Verträge unterschreiben und 50 000 Franken hier, 100 000 dort bekommen können.
Sie leben von Ihrem Ersparten?
Ja. Gut, eigentlich mache ich ja gar nichts in meinem Leben, sondern leb’ auf meiner Farm. Aber ich bin glücklich, so wie ich lebe: Mit den Spenden kann ich das finanzieren, was die Tiere brauchen, das Futter, die Oase. Dafür reicht es knapp. Zudem bekomme ich einen Betrag für meinen Youtube-Kanal, je nachdem, wie gut meine Videos laufen. Vielleicht 5000 Franken pro Monat. Davon bezahle ich zwei Löhne und meinen Lebensunterhalt, that’s it, mehr bekomme ich nicht.
Wohin führt Sie Ihre Zukunft?
Ich bin mit verschiedenen Shows in Kontakt: Mit der Ellen Show, einer amerikanischen Talkshow, sind wir dabei, ein Datum zu fixieren. Und mit zwei Streaming-Plattformen, Netflix und Apple TV, verhandeln wir über meine globale Wildlife-Show. Den Produktionspartner haben wir; welches Netzwerk wir wählen, wissen wir noch nicht. Vielleicht aber finanzieren wir die Show auch privat, ein Privatinvestor hat sich bereits empfohlen.
Sie sind 27, leben im Nirgendwo. Sehnen Sie sich nicht nach Partys? Dates? Einer Freundin?
(Lacht) Ich hatte eine sehr glückliche sechsjährige Beziehung. Und wir stehen immer noch in gutem Kontakt. Das Problem ist, ein Mensch hat leider nur begrenzt Zeit, Energie und Liebe. Mich erreichen täglich 80 000 Nachrichten auf Instagram. 80 bis 90 Prozent von meinen 24 Stunden stecke ich in die Tiere, ich widme ihnen mein Leben. Für eine erfolgreiche Beziehung bleibt momentan nichts übrig.