Der andere König

Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest in Zug setzte neue Massstäbe. Ein Monarch aus Übersee beobachtete das Geschehen live. Wir begleiteten den König von Tonga während dreier Tage und führten ihn in das Brauchtum ein.

Veröffentlicht in Die Weltwoche, 28. August 2019

Bild: Roman Zeller. V.l.n.r.: David Vogelsanger, König Tupou VI., Luka Müller, Tina Müller.

Bild: Roman Zeller. V.l.n.r.: David Vogelsanger, König Tupou VI., Luka Müller, Tina Müller.

Freitagmorgen, 8.30 Uhr – «Honorary Consulate of the Kingdom of Tonga» steht auf dem Schild vor einer integrierten Zürcher Anwalts-, Steuer- und Compliance-Unternehmung. Drinnen empfängt mich ein junger Anwalt und führt mich durch die Büros. Seine Kollegen weisen ihn auf die Krawattenpflicht hin, schliesslich komme ein König.

«Noch fünf Minuten», heisst es. Martin Eckert, Mitgründer der Firma, steht auf und informiert: «Den König spricht man mit ‹Your Majesty› an, danach genügt ein leichtes Verbeugen.» Dann liege es am König, ob er einem die Hand reicht oder nicht.

9.00 Uhr – Luka Müller, ebenfalls Mit gründer und Ehemann von Fernsehmoderatorin und Sängerin Sandra Studer, betritt den Raum, begleitet von einem Hünen, dem er einen Platz anbietet mit einem Schild davor – «King of Tonga» –, daneben sitzt Botschafter David Vogelsanger, der in Neuseeland stationiert und für Tonga zuständig ist. Müller führt ein: «142 Kilo, 198 Zentimeter und Schuhgrösse 51», so lasse sich Christian Stucki, der Berner Schwingerkönig-Anwärter, umschreiben. «Das aber könnte», fährt er fort und blickt zum Ehrentisch, «auch der König von Tonga sein.»

«Mein Urgrossvater», fährt er fort, «steht am Ursprung für meine tongaischen Wurzeln.» 1885 erreichte Philipp Gotthard Müller die südpazifische Insel und heiratete eine Inselbewohnerin. Von den neun Kindern zog es keines langfristig in die Zuger Heimat. Erst Enkel Andrew Philipp Müller, 1928 auf Tonga geboren, kehrte in die Schweiz – zum Familienursprung – zurück. Sein Sohn Luka repräsentiert nun offiziell Tonga in der Schweiz.

Jetzt stellt mich Botschafter Vogelsanger für die königliche Audienz vor, die ich mit «Your Majesty» und einem ehrfürchtigen Nicken begrüsse. König Tupou VI., mindestens einen Kopf grösser und doppelt so breit wie ich, streckt seine Hand entgegen. Ich frage, ob ich ihn ans Schwingfest begleite dürfe. «Ja», sagt er.

Samstag, 7.15 Uhr – Ich warte vor der Arena, bis die Delegation erscheint. Er freue sich aufs «Wrestling», sagt der König, der schräg vor dem Bundespräsidenten sitzt. Um 7.50 Uhr ertönt die Nationalhymne. Ich, zehn Plätze entfernt, beobachte, wie Tupou VI. aufsteht und seinen Safarihut zieht. Durch den Feldstecher kann er verfolgen, wie Joel Wicki das Publikum in Ekstase versetzt. «Your Majesty», beginne ich das Gespräch. «Was war Ihr Highlight?» Keine Antwort. «Die Nationalhymne, gesungen von 56 000 Zuschauern?» – «Wrestling», erwidert er kurz angebunden.

Wir spazieren übers Festgelände. Unauffällig. Müller unterhält den König, wir gehen an den Essständen vorbei. 10.15 Uhr. Müller: «Who wants a Swiss sausage?» – sieben Leute. Botschafter Vogelsanger fragt: «Ohne Brot?» «Das sind Tongaer», entgegnet Müller und reicht dem König seine Bratwurst, die ihm – wie er sagt – vertraut schmecke. Nachdem der Hunger gestillt ist, begeben wir uns in den Lift zum «Schwingerstübli», Etage siebzehn. Oben angekommen, zeigt Müller dem König ein Festzelt am Zugersee. Dort finde am Abend das exklusive Privatdinner statt – fern der Öffentlichkeit, wie auch der Rest des Tagesprogramms.

Sonntagmorgen, 7.45 Uhr – Beginn des Ausstichs. Wo steckt der König? Ich frage ich Freunde von Müller, ob die gestrige Party ausgeufert sei. Sie berichten von einem schönen, lockeren Abend, bei dem auch Fürst Albert II. von Monaco anwesend war, in einem schwarz-weissen Hawaiihemd. Für die musikalische Begleitung besorgt waren die A-cappella-Gruppe Bliss und Sandra Studer, Müllers Ehefrau. Sie habe für den König sogar ein tongaisches Lied gesungen. Um etwa 23.00 Uhr sei dieser dann zurück ins Hotel gegangen.

8.40 Uhr – Armon Orlik bezwingt Kilian Wenger – ohne König. Ich sitze auf dem Platz von Sepp Blatter (ebenfalls nicht in der Arena). Da meldet sich Gian Müller, der Sohn von Luka Müller. Er habe vergessen, mir zu sagen, dass der König erst für Maurers Rede komme. Als der König dann um 9.15 Uhr ankommt, kreist eine La-Ola-Welle in der Arena. Müller wirft die Arme in die Luft, nicht so der König. Erst als Maurer seine Rede beendet, applaudiert er, worauf, gerade als der sechste Gang beginnt, die tongaische Delegation hinausbeordert wird – zur offiziellen Begrüssung im «Schwingerstübli» (siehe Text unten). Dort, sagt Credit-Suisse-CEO Tidjane Thiam, im Edelweisshemd gleich hinter mir, habe er mit dem König sprechen können: «A very nice man.»

Gleiches sagt mir Ueli Maurer. Er komme gerade vom Mittagessen mit dem König. «Er ist zurückhaltend», resümiert der Bundespräsident und zückt seinen Feldstecher. Der Sitz des Königs von Tonga vor ihm bleibt leer. «Den Schlussgang schaut er im Hotel», sagt Luka Müller. Dort kann er mitverfolgen, wie Christian Stucki mit seinen 142 Kilo auf Schultern getragen und zum König der Eidgenossen erkoren wird – mit fast identischen Körpermassen wie König Tupou VI. aus Tonga.

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