«Büezer wird, wer gerne Probleme löst»
«Gölä – Zigeunerherz»: So heisst die soeben erschienene Autobiografie des Mundartrockers. Die Weltwoche hat ihn für ein grosses Interview auf seinem abgelegenen Anwesen besucht.
Veröffentlicht in Die Weltwoche, 1. April 2021.
Gölä, der Schweizer Kultmusiker, lädt zur Fahrt in seinem «Amarökli», seinem monströsen Pick-up-Truck. Auf dem Weg grüsst er die «Gruebejungs» im Steinbruch, den wir passieren. Aus seinem Mund hängt eine krumme Zigarre. Er rauche sie täglich, auch während der Arbeit auf dem Bau. Gölä kauft Häuser, renoviert und verkauft sie.
Vor kurzem konnte er ein anderes Projekt abschliessen: Mit dem Schriftsteller und Songtexter Dänu Wisler veröffentlichte Gölä seine reichbebilderte Autobiografie «Gölä – Zigeunerherz».
Auch ein neuer Song ist erschienen: «We d Bärge vergheie». Gölä setzt sich darin kritisch mit der Corona-Politik auseinander, besingt das Weiterkämpfen und Niemals-aufgeben-Wollen. Für seine Verhältnisse war das Echo darauf bescheiden. «Bei der Musik herrscht tote Hose», sagt er. 2020 hätte Gölä als erster Schweizer überhaupt im ausverkauften Letzigrundstadion auftreten sollen, vor knapp 50 000 Menschen. Das Konzert wurde verschoben, wegen Corona.
Inzwischen sind wir auf seinem Anwesen mit Haus und vier Hektaren Land angekommen. Überall stehen kleinere und grössere Geländewagen, auch ein Oldtimer-Lastwagen, mehrere Bagger und eine Schneefräse, mit der Gölä im Winter die ungeteerte Schotterpiste räumt, die zum nächsten Dorf führt. Der Weg dorthin wäre sonst unzugänglich.
Der Erfolgsmusiker wohnt im Niemandsland, irgendwo zwischen Thun und Interlaken, wo ihn niemand findet. Er wolle keinen «Gölä-Tourismus», sondern seine Ruhe, Freiheit. Was er dort hat, vergleicht er mit Kanada, seinem «Paradies». Er könne tun und lassen, was er wolle.
Das alte Bauernhaus kaufte er vor zehn Jahren. Er renovierte es selber mit hellem Holz und Täfer. Gölä trägt Stahlkappenschuhe und Sicherheitsbekleidung und zeigt eine seiner Baustellen: Unterhalb des Geheges mit vierzehn Geissen baut er einen Spielplatz für seine beiden Töchter. Weil ein Unwetter naht, bedeckt er jetzt das Werkzeug – Schrauben, Pickel, Motorsäge, Hammer – mit einer wasserdichten Blache.
Kurz darauf serviert er Kaffee auf der überdachten Veranda. Dann läuft Gölä zum nahen Bach, um eine Wasserflasche aufzufüllen. Sein Haus ist weder an das Wasser- noch an das Stromnetz der Gemeinde angeschlossen. Im Wohnzimmer lodert ein Feuer im Ofen, damit man warm duschen kann. Solarpanels erzeugen Elektrizität. In den dunklen Wintermonaten hilft ein Dieselgenerator. Die vierköpfige Familie wohnt, so gut es geht, autark.
Weil er den Winter hasst, wollte sich Gölä erst im Frühling zum Interview treffen. Wir blicken auf den spiegelglatten Thuner- und den mythischen Brienzersee. An klaren Tagen sehe man bis in den Jura. «Herrlich», beschreibt Gölä die Idylle. Dann kracht es im Wald, ein Baum fällt um. «Das passiert ständig.»
Weltwoche: Gölä, seit über einem Jahr spielt der Corona-Sound. Wie haben Sie während dieser Zeit die Schweizer kennengelernt?
Gölä: So wie gäng: brav und folgsam.
Weltwoche: Hätten Sie es je für möglich gehalten, dass sich die freien Schweizer einsperren und Masken aufzwingen lassen?
Gölä: Das ist kein schweizerisches, sondern ein weltweites Phänomen. Mich erstaunt, dass der Mensch allgemein Folge leistet. Ohne Murren. Was mich stört, ist, dass die Menschen heute glauben, intelligenter als ihre Vorfahren zu sein. Das Gegenteil ist der Fall! Heute saugen sich alle die News rein. Vorbehaltlos. So macht sich der Mensch steuerbar. Ich finde, die Corona-Massnahmen und deren Folgen hätte man viel mehr hinterfragen sollen.
Weltwoche: Enttäuscht es Sie, dass sich die Schweizer diese Massnahmen gefallenlassen?
Gölä: Schauen Sie, Politiker von der Antike bis heute haben das Volk immer gesteuert, und sie haben es immer angelogen. Der Mensch ist leicht zu beeinflussen. Man muss nur den Teufel lange genug an die Wand malen. So sind auch die meisten Kriege losgetreten worden. Wir wurden aus der Vergangenheit nicht klüger, das enttäuscht mich.
Weltwoche: Manche sprechen von Diktatur...
Gölä: Die hatten wir schon immer. Die Diktatur der Mächtigen.
Weltwoche: Lässt Sie das kalt?
Gölä: Was soll ich denn machen? Eine Revolution starten? Dem verwöhnten Wohlstandsgeschädigten muss es viel dreckiger gehen, damit er sich erhebt.
Weltwoche: Was müsste passieren, damit es Ihnen den Nuggi raushaut?
Gölä: Schwierig, ich halte mich weitgehend raus. Ich richtete mein Leben so ein, dass ich das, was mir wichtig ist, um mich habe – Familie, Tiere und viel Natur. Wenn ich auf meinem Grund und Boden nicht mehr leben könnte, wie ich es will, hätte ich ein gröberes Problem.
Weltwoche: Im Privaten galt bis vor kurzem die Fünf-Personen-Regel.
Gölä: Ja, ja, ich weiss. Das ist absurd. Aber mich stört viel mehr, dass ich das Ganze nicht nachvollziehen kann. Wie und warum wird entschieden? Beizen und Bars, die in Schutzkonzepte investierten, sind zu, während der ÖV, wo alle aufeinandersitzen, normal weiterfährt. Das ist doch Irrsinn. Ich frage mich, warum wir das so leichtfertig fressen.
Weltwoche: Woran halten Sie sich fest, um nicht zu verzweifeln?
Gölä: Verzweiflung nützt nichts. Etwas, was ich nicht ändern kann, akzeptiere ich, so wie es ist. Das Leben ist ein Abwägen von Vor- und Nachteilen. In der Schweiz geht es uns doch eigentlich wunderbar, auch wenn gerade alle wegen Corona durchdrehen.
Weltwoche: Ihr Ratschlag gegen krampfhaftes Unglücklichsein?
Gölä: Demut. Sich mal wieder vergegenwärtigen, was wir alles haben, auch wenn das keine zehn Ferraris sind. Glauben Sie mir, wenn der Doktor sagt, Sie haben Knochenkrebs, haben Sie ganz andere Probleme.
Weltwoche: Wo liegt Ihr Schlüssel zum Glück?
Gölä: Wenn ich in den Spiegel schaue und weiss, ich bin ein ehrlicher Mann. Denjenigen, den Sie im Spiegel sehen, müssen Sie mögen. Sie müssen sich selber glücklich machen, für Ihr Glück kämpfen, es suchen. Aber nicht beim Staat.
Weltwoche: Sie bezeichnen sich als Büezer. Was schätzen Sie an Menschen, die auf dem Bau arbeiten?
Gölä: Büezer wird, wer gerne mit den Händen arbeitet, etwas schafft und Probleme löst – das Gleiche machen andere im Spital oder im Büro. Menschen haben ganz unterschiedliche Fähigkeiten, um die Gesellschaft zu bereichern. Mein Buchhalter ist zum Beispiel ein Held für mich. Er macht, was ich nicht mag – ich hasse Zahlen. Ich mag Dreck, Maschinen und den Dieselgeruch. Eigentlich sollte die Menschheit eine Einheit sein, die wie ein Ameisenhaufen funktioniert. Stattdessen arbeiten wir gegen- statt miteinander. Lieber beneiden wir jemanden um sein Glück, als es ihm zu gönnen.
Weltwoche: Ist es ein Irrglaube, dass der Mensch im Grunde gut sei?
Gölä: Für mich gibt es keine starren Kategorien à la «immer nur Teufel» oder «immer nur Engel». Ich glaube, der Mensch ist in seinem Kern gut, dann gibt es ein Sowohl-als-auch. Jeder spürt ja, ob er etwas Gutes oder Schlechtes macht. Wer eine Biene zerdrückt, weiss, dass es falsch ist. Unbequem ist dann aber, sein Handeln zu hinterfragen. Das machen die wenigsten.
Weltwoche: Was schätzen Sie an Frauen? Was an Männern?
Gölä: Der Urinstinkt war, die Frau lockt den Mann, und er bietet ihr Sicherheit. Heute sind diese Muster durcheinander, viele wissen nicht mehr, wo sie stehen. Uns täte es gut, wenn wir wieder schätzenlernten, wie wir zur Welt kamen, was unsere Aufgabe ist. In der Natur – bei den Tieren zum Beispiel – sieht man, was Männchen und Weibchen machen: Sie zeugen Nachkommen und helfen einander beim Aufziehen. Sie sind ein Paar. Ich schätze an einer Frau, wenn sie gern Frau ist. Und beim Mann dasselbe. Die Leute denken zu viel über diese Luxusprobleme nach, das treibt sie in den Wahnsinn.
Weltwoche: Wie wahnsinnig ist es, fast autark zu leben, aber gelegentlich vor 50 000 Leuten aufzutreten? Was macht dieser Gegensatz mit Ihnen?
Gölä: Das ist wirklich surreal. Ich begreife selber nicht, was spannend an mir sein soll. Schön ist, dass die Leute meine Musik gernhaben. Am meisten gefällt mir aber, dass mein Publikum so divers ist: Junge, Alte, Punks, Lesben, Weisse, Gelbe, Einwanderer, Urschweizer. Wer sich sonst nie begegnen würde, trifft sich an meinen Gigs. Und singt meine Lieder.
Weltwoche: Warum ist das so?
Gölä: Keinen blassen Schimmer. Wahrscheinlich, weil ich nicht allzu hübsch bin und nicht allzu gut singe. Ich bin nichts Besonderes. Ich bin halt ich.
Weltwoche: Eigentlich heissen Sie Marco Pfeuti. Warum nennt man Sie Gölä?
Gölä: Das kommt aus der Schulzeit. Es gibt mehrere Marcos im Berner Oberland, denen man «Gölä» sagt. Marcöli, Cöli, Gölä, so entstand das wahrscheinlich.
Weltwoche: Wofür steht Gölä?
Gölä: Ehrlichkeit, mit den Leuten und mit mir selbst. Und Aufrichtigkeit. Ich will nicht auf Kosten anderer leben, um einen Vorteil zu haben.
Weltwoche: Gibt es ein Erlebnis in Ihrer Jugend, das Sie entscheidend geprägt hat?
Gölä: Sicher das viele Arbeiten, als ich jung war. Ich half von Kind auf in der Beiz meiner Eltern, andere spielten draussen. Ich wischte den Boden, half in der Küche – was immer es zu tun gab.
Weltwoche: 1998 wurden Sie ein Star. Erzählen Sie von einem normalen Tag damals.
Gölä: Am Anfang meiner Karriere, als ich hauptsächlich auf dem Bau arbeitete, liefen plötzlich meine Songs im Radio. Das fand ich cool.
Weltwoche: Sie wurden auf einen Schlag berühmt. Ein Rockstar, mit crazy Partynächten, Nutten und Alkohol. Vermissen Sie diese Zeit?
Gölä: Nein, um Gottes willen! Wir haben alles gegeben. Eine wilde Truppe, glauben Sie mir. ›››
Weltwoche: War das eine gute Zeit? Seelisch, menschlich.
Gölä: Ich glaube nicht. Das Coole war, als ich merkte, ich hab’s geschafft. Davon träumte ich ja. Mein Erfolg kam spät, aber er kam zum Glück. Mich erfüllte eine tiefe Befriedigung. Gleichzeitig ging mir der Hype abartig auf den Sack. Dieses Urteilen: Leute, die mich nicht kannten, hackten auf mir rum, weil sie Gölä nicht ausstehen konnten. Ich hatte ja nichts verbrochen, niemandem etwas zuleide getan. Ich machte nur ein bisschen Musik.
Weltwoche: Wissen Sie, warum Kulturjournalisten seit je an Ihnen mäkeln?
Gölä: Ich glaube, weil sie das, was ich mache, nicht als Kunst sehen – ich ja übrigens auch nicht. Meine Lieder sind viel zu einfach. Für Feuilletonisten muss etwas kompliziert sein, damit sie es geil finden.
Weltwoche: Wurden Sie mit dem Erfolg einsam?
Gölä: Ich war immer ein Einzelkämpfer, der tagelang im Zimmer hocken und Gitarre spielen konnte. Ich war nie da, wo alle waren. Daher hat mich die Zeit nicht gross verändert. Mich störte eher, dass ich mit der Familie nirgends mehr hinkonnte. Ich will vor meinen Kindern keine Autogramme geben. Ich will nichts Besonderes sein, sondern ein normaler Papa.
Weltwoche: Hören Ihre Töchter Papas Lieder?
Gölä: Ja, aber sie hören auch anderes. Gerade gefällt ihnen das «Büezer Buebe»-Zeug.
Weltwoche: Was finden Ihre Kinder schlecht?
Gölä: Weiss ich nicht. Kinder sind cool: Wenn sie einen Song nicht mehr mögen, schalten sie einfach zum nächsten, so lange, bis ihnen einer gefällt. Und dann hören sie ihn hundert Mal.
Weltwoche: Gibt es ein Lied, das Sie nicht mehr hören können?
Gölä: Ja, den «Schwan». Aber ich höre mich allgemein nicht gerne.
Weltwoche: Warum?
Gölä: Ich höre so viel geile Musik – Tina Turner, Jimmy Barnes, all die geilen Rocker mit ihren rauen Stimmen. Das sind singende Götter. Im Vergleich zu ihnen bin ich ein Niemand.
Weltwoche: Woher holen Sie sich Ihre Inspiration für Songtexte, für Ihre Hits?
Gölä: Meine Songs bringt mir das Leben, sie kommen einfach. Ich sitze ja nicht da und sage: «So, jetzt schreibe ich einen Hit.» Das Lied kommt einfach, und die Leute entscheiden dann, ob es ein Hit ist.
Weltwoche: Haben Sie ein Lied, das vom Gefühl, Text und Sound her nahezu perfekt ist?
Gölä: Das gibt es nicht. Hätte ich das Gefühl, etwas sei nahezu perfekt, könnte ich ableben. Man muss doch das Leben lang auf der Suche nach dem perfekten Song sein, oder nicht? Und ich habe das Gefühl, je mehr ich das ergründen will, desto weniger kommt es. Vieles im Leben kommt erst, wenn man loslassen kann.
Weltwoche: Glauben Sie, das Beste aus sich herausgeholt zu haben?
Gölä: Nein.
Weltwoche: Wollen Sie überhaupt das Beste herausholen?
Gölä: Schwer zu sagen. Wenn ich schreibe, probiere ich schon, mein Bestes zu geben. Dann konzentriere ich mich zu hundert Prozent. Aber ich habe mir für die Musik nie ein Bein ausgerissen. Ich war zum Beispiel immer zu faul, um die Gitarrengriffe zu üben.
Weltwoche: Welcher Künstler beeinflusste Sie am meisten?
Gölä: Das sind Hunderte! Mich faszinierten aber mehr die Musikstile – alles, was von Schwarzen kam: Blues, Rock ’n’ Roll, Jazz, Soul, Gospel. Alles, was eine Melodie und eine Seele hat.
Weltwoche: Ein Musiker, den Sie gut finden?
Gölä: Einer meiner grössten Helden ist Kid Rock. Aber von Amerika kommt immer wieder geiles Zeug, ich kann mir nur die Namen nicht merken.
Weltwoche: Auch Billie Eilish? Justin Bieber?
Gölä: Billie Eilish nicht, das ist ein bisschen Selbstmord-Sound. Justin Bieber hat geile Songs! Ich war letztens auf der Baustelle im Graben unten, da lief ein Lied im Radio. Ich drehte es auf und dachte: Läck, ist das geil! Die Moderatorin sagte dann, das sei Justin Bieber gewesen. Ich dachte, das kann ja nicht sein.
Weltwoche: Wer ist für Sie der grösste Schweizer Musiker aller Zeiten?
Gölä: Hm . . . Ich liebe Rock. Gotthard, Krokus, das war schon geil. Und mein Mundart-Hero wird immer Polo Hofer sein.
Weltwoche: Wen finden Sie überbewertet?
Gölä: Alles hat seine Berechtigung, wenn es einem gefällt. Ist doch egal, was ich, als Gölä, davon halte. Menschen sind verschieden, mit unterschiedlichen Geschmäckern. Keiner kann sagen, das ist Schrott. Es gibt vielleicht Sachen, die von mir aus gesehen Schrott sind.
Weltwoche: Okay, dann: Was ist der grösste Schrott, den Sie je gehört haben?
Gölä: Techno, furchtbar. Das ist so gefühllos.
Weltwoche: Und was lesen Sie gerade?
Gölä: Daniele Ganser, ein sehr eindrücklicher Mensch. Extrem gescheit.
Weltwoche: Was fasziniert Sie an ihm?
Gölä: Sein Wissen. Er lässt extrem kluges Zeug raus.
Weltwoche: Er wird als Verschwörungstheoretiker abgekanzelt. Das wissen Sie, oder?
Gölä: Das wird ja heute jeder, der es noch wagt, selber zu denken.
Weltwoche: Oder anders: Jeder, der nach der Wahrheit sucht, ist ein Verschwörungstheoretiker.
Gölä: Ja, logisch. Das ist es ja, was die Politiker am liebsten hätten: nicht nachdenken, sondern wie ein Schäfchen brav in den Schlachthof reinlaufen.
Weltwoche: Welches Tier wären Sie gerne?
Gölä: Ich finde viele Tiere geil, vor allem Krafttiere, die Stärke und Freiheit symbolisieren. Von Wolf bis Adler und Bär. Ich bin ein riesiger Tierfan. Nur nicht von Tieren, die sich knechten lassen. Eben, ich wäre sicher kein Schaf.
Weltwoche: Woher kommt dieser Freiheitsdrang?
Gölä: Dieses Entdecker-Gen haben doch die meisten: Freiheit, Reisen, Abenteuer – das liegt in unseren Genen. Man sieht es im Sport: Leute springen an einem Seil von den Klippen – bireweich! Aber der Mensch will seine Grenzen ausloten, faszinierend.
Weltwoche: Fühlten Sie sich als Nomade im Tourbus von Hotel zu Hotel freier?
Gölä: Auf alle Fälle! Ich war immer unterwegs, immer. Stillstand ist eine Qual.
Weltwoche: Wann wäre Ihr Mass an Freiheit zu stark eingeschränkt?
Gölä: Im Knast, das würde mich fertigmachen.
Weltwoche: Dann wären wir wieder beim Shutdown . . .
Gölä: Zum Beispiel, nur wohne ich nicht in einer Blockwohnung, sondern auf vier Hektar.
Weltwoche: Sind Sie eigentlich ein politischer Mensch?
Gölä: Ich bin nicht politisch aktiv. Das Einzige, was ich mache, ist abzustimmen und zu wählen. Und das nur, weil ich früher am Stammtisch über die Politik fluchte, aber selbst nie abstimmte. Das wollte ich ändern.
Weltwoche: Was ist die verkehrteste Annahme, die über Sie herumgeistert?
Gölä: Dass ich ein Rassist, Schwulenhasser oder weiss der Teufel was sei. Ich lasse jeden leben, wie er ist. Ich weiss nicht, wie man auf so etwas kommt. Womöglich muss man links sein oder alte weisse Männer hassen, um so über mich zu denken. Mit der Zeit merkte ich, es gibt immer solche, die motzen, weil jemand anders denkt. Diese Offenheitsfanatiker sind es doch, die am intolerantesten gegenüber Andersdenkenden sind.
Weltwoche: Finden Sie den Satz «Wer jung und nicht links ist, hat kein Herz; wer alt und links ist, keinen Verstand» zutreffend?
Gölä: Ein guter Satz. Aber die Frage ist: Was ist links? Linkssein war nicht immer schlecht. Es gab eine Zeit, da war es sogar gut, weil die Linken für die Rechte der Arbeiter kämpften. Heute sind Linke weltfremd. Eine gehobene Schicht von Studierten, die zwar keine Ahnung vom Leben haben, aber das Gefühl versprühen, sie wüssten es.
Weltwoche: Wären Sie als Arbeiter also grundsätzlich empfänglich für linke Ansichten?
Gölä: Heute nicht. Ich glaube aber, es wird langsam schwierig, links von rechts zu unterscheiden. Mittlerweile ist alles der gleiche Dünkel und weit weg vom normalen Denken. Es gibt fast nur noch extreme Positionen. Kein Berufspolitiker hat eine Ahnung, wie das Leben eines Arbeiters ist.
Weltwoche: Was meinen Sie mit «normalem Denken»?
Gölä: Ich will weder rechts noch links sein, sondern anständig denken und sagen dürfen, was ich will. Ich will meinem Herzen und Bauch folgen, als stolzer Arbeiter. Oft fehlt mir in der Politik der gesunde Menschenverstand.
Weltwoche: Wie hat sich über die Jahre Ihre Weltsicht verändert?
Gölä: Der Vorteil vom Älterwerden ist, man wird offener, weniger verkrampft und verbissen. Heute lebe ich mein Leben, bin zufrieden und lasse andere immer noch so sein, wie sie sind.
Weltwoche: Wie haben Sie sich als Person über die Jahre verändert?
Gölä: Ich wurde ruhiger, weniger aufbrausend. Irgendwann möchte ich mit einem Lächeln sterben, mit dem Gefühl, ein aufrechter, guter Bueb gewesen zu sein.
Weltwoche: Wäre das momentan der Fall?
Gölä: Sterben mit einem Lächeln nicht, weil ich meine Kinder noch aufwachsen sehen möchte. Und dann habe ich dort unten gerade einen Spielplatz zu bauen begonnen. Den sollte ich noch fertigmachen. (Lacht) Aber sonst bin ich mit mir im Reinen.
Weltwoche: Wie stellen Sie sich das Leben nach dem Tod vor?
Gölä: Darüber denke ich oft nach. Aber vorstellen tue ich mir nichts, es ist ja wahrscheinlich sowieso falsch.
Weltwoche: Haben Sie Angst vor dem Tod?
Gölä: Nein, ich glaube, schlussendlich wird der Tod befreiend sein. Die Frage ist, wie man stirbt. Ich glaube, davor fürchten sich die meisten.
Weltwoche: Haben Sie einen Wunschtod?
Gölä: Ich würde gerne irgendwo unter einem Baum sitzen, anlehnen, einen Schnaps trinken, dazu einen Stumpen rauchen und friedlich entschlafen.
Weltwoche: Haben Sie sonst noch einen unerfüllten Traum?
Gölä: Für mein Alter wünsche ich mir ein altes Bauernhäuschen, eine schräge Alphütte, selber zurechtgemacht. Ich stelle mir vor, wie ich im Winter draussen auf dem Bänkchen hocke, im T-Shirt, von hinten wärmt mich das Holz, von vorne die Sonne. Das wäre ein Träumli.
Dänu Wisler: Gölä – Zigeunerherz. Werd-Verlag. 160 S., Fr. 41.90