Klug, aber nicht zu intelligent

Wer in den sozialen Medien Erfolg haben will, muss den richtigen Ton treffen. Die Ökonomin Xenia Tchoumi analysiert Internet-Influencer und schreibt bald ein Buch.

Veröffentlicht in Die Weltwoche, 19. August 2020

Bild: zVg.

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Die britische Make-up-Influencerin Alexandra Milam, der 12 000 Leute auf Instagram folgen, kritzelte kürzlich ihren Namen in Grossbuchstaben in das weiche Gestein des englischen Weltnaturerbes Jurassic Coast. Darüber gravierte die 24-Jährige das Logo der Plattform, fotografierte sich vor ihrem Werk und drückte auf «Teilen».

Das Bild vom Jahrmillionen alten Untergrund sollte ihr einen viralen Hit bescheren, doch sie erntete einen Shitstorm. Freiwillige Landschaftspfleger hatten die Verunstaltung publiziert, ebenfalls auf Instagram. Die wasserstoffblonde Influencerin entschuldigte sich und versprach, künftig jeden Monat dreissig Pfund, also 35 Franken, für den Unterhalt der Jurassic Coast zu spenden.

«Wow», sagt von Xenia Tchoumi, als wir ihr die Geschichte erzählen. Sie fasst sich an den Kopf. «Die Leute müssen denken, Influencer sind dumm, aber es gibt auch intelligente.» Wir sind mit der Schweiz-Italienerin per Videotelefonie verbunden. Sie sitzt vor dem Handy in ihrer Londoner Wohnung. Tchoumitcheva, wie sie mit vollem Nachnamen heisst, ist die erfolgreichste Vize-Miss-Schweiz aller Zeiten, eine prägende Figur der Schweizer Social-Media-Szene, kurz: eine Influencerin.

Kraft des Werbeträgers

Auf Instagram erreicht sie 1,7 Millionen Menschen, auf Facebook knapp 6 Millionen. Hinzu kommen Hunderttausende auf Snapchat und Zehntausende auf Tiktok. Um erfolgreich zu sein, müssten die Inhalte für möglichst viele Leute interessant sein, sagt Tchoumi, die Ökonomie studiert hat. Wer sich nur an ein Nischenpublikum richte, habe keine Chance.

Damit lässt sich ordentlich Geld verdienen. Im Influencer-Business gilt die Ein-Prozent-Regel: Wer 20 000 Menschen auf sein Profil lockt, kann mit 200 Franken pro Post rechnen. Ob der Verdienst linear ansteigt, kommt auf die Kraft des Werbeträgers an und darauf, ob seine Follower echt sind. Umgelegt auf Tchoumi, ergäbe dies einen Umsatz von mehreren Millionen Franken jährlich, weil alle, die sich für sie interessieren, echt seien, wie sie beteuert. Wie viel sie verdient, will Tchoumi nicht verraten. «Millionen pro Jahr sind es aber nicht.»

Um möglichst viele Leute anzusprechen, dürfe ein Post «nicht zu intelligent sein», formuliert es Tchoumi. Planlos, ohne Verstand, so wie Alexandra Milam, feuere sie nicht drauflos. Auch einen Post, wie ihn Mimi Jäger unlängst publizierte – die 37-jährige Sportlerin lästerte über «Black Lives Matter»-Demonstranten, weil diese die Corona-Regeln nicht einhielten –, würde sie nie absetzen. Nicht wegen der Thematik. Die Bewegung befürworte sie. Aber sie bedenke vor jedem Bild oder Video ihre Botschaft. «Influencer zu sein, heisst, eine Stimme zu haben, ich habe eine Verantwortung.»

Ihr Lieblingsthema ist «Female Empowerment», Tchoumi bezeichnet sich als Feministin. «Viele Leute glauben, ich sei gegen Männer. Aber das stimmt nicht, ich liebe Männer. Mir geht es um Gleichberechtigung!» Ihre besten Freunde seien männlich, ihr Lebenspartner wie sie Feminist, was sie «fantastisch» findet, weil er ausserhalb gängiger Muster denke. 

Handtaschen, Schuhe, Kleider

Denkt sie an ihre Anfänge zurück, geniert sie sich ein bisschen. Sie erwähnt einen «schrecklichen Post, irgendwo an einem Strand». Heute, rund zehn Jahre später, bewirbt sie Luxusartikel: Handtaschen, Schuhe, Kleider. Auf die Frage, was sie an dieser Arbeit reize und wie sie sie mit dem Feminismus zusammenbringe, sagt sie: «Klar, es ist ein wenig oberflächlich. Aber so habe ich Einfluss auf Themen, die mir wichtig sind.» Tchoumi ist digitale Unternehmerin. Sie bietet auch Online-Beratung an. Früher veröffentlichte sie Kolumnen beim Schweizer Monat. Heute unterhält sie einen Blog, wo sie über Philosophie und Internetthemen schreibt. Im Dezember soll ihr erstes Buch erscheinen. Täglich notiert sie ihre Gedanken in einem Tagebuch: «Ich mache nicht nur Instagram.»

Was ohne Miss-Schweiz-Wahl aus ihr geworden wäre, davon hat Tchoumi eine genaue Vorstellung: Aktienhändlerin. Tatsächlich arbeitete sie einst als Praktikantin bei einer Investmentbank. Einen Job als Angestellte könne sie sich aber nicht mehr vorstellen. An ihren Lifestyle habe sie sich gewöhnt, an den Glamour, den Luxus, das Reisen und die Partys.

Kein Tag gleiche dem anderen, sagt sie. Und vor allem sei sie ständig auf Trab, weshalb sie ihre wenigen freien Wochenenden umso mehr geniesse. Am liebsten zu Hause, wo sie Karten spiele, eine Dokumentation oder Netflix schaue. Über sich selbst sagt die talentierte Influencerin: «Eigentlich bin ich ziemlich langweilig.»

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