«Ich fühle mich nicht anders»
Der Stern der dreizehnjährigen Luna Mwezi ging mit dem Film «Platzspitzbaby» auf. Als Tochter einer Drogensüchtigen begeisterte das politinteressierte Mädchen 300 000 Kinobesucher – und eine britische Schauspielagentin.
Veröffentlicht in Die Weltwoche, 27. Juli 2020
Es sei nicht ihr Lieblingsort, aber dennoch speziell, sagt das Mädchen und blickt in den Park. Wir sitzen auf einer Bank am Zürcher Platzspitz, dem einstigen Drogen-Hotspot der Schweiz. Wo von Mitte der achtziger bis Anfang der neunziger Jahre Süchtige im Delirium taumelten, vergnügen sich heute Kinder auf dem Spielplatz.
Luna Mwezi schwang vor unserem Gespräch noch auf der Schaukel, um jetzt in die Rolle des Filmstars zu springen. Als «Platzspitzbaby» hatte sie hier ihren ersten Drehtag. Die gleichnamige Produktion gehört zu den fünfzehn erfolgreichsten nationalen Kinofilmen, die jemals in der Schweiz liefen. Trotz des Coronavirus, das die Kinos zwischenzeitlich schloss.
300 000 Menschen wollten sie bisher als Mia sehen; wie sie sich um ihre drogensüchtige Mutter kümmert, ihr Stoff besorgt, ihr mehrmals das Leben rettet, bis das Mädchen fast daran zerbricht.
Schüchtern gesteht Mwezi, dass sie stolz sei, sich auf der Leinwand zu sehen. Lieber betont sie die «super Leistung» von allen, in jeder Szene. Kritisch äussert sie sich einzig über ihre Stimme, die sie nicht gerne höre, wie sie anfügt. Sie imitiert sich und meint: «Das tönt so komisch.»
Als makellos beurteilte die Presse Mwezis Mia-Interpretation. «Eine Entdeckung» sei sie, war zu lesen – und entsprechend gross war das Interesse. Über sechzig Interviews gab sie nach der Premiere, bis Corona die Interessenlage verschob. In der Zwischenzeit hat sie eine britische Schauspielagentin unter Vertrag genommen.
Rauchen ist uncool
Mwezi ist schüchtern, was sich jedoch schnell legt. Klar definiert sie, was geht und was Privatsache sei. Etwa, wo sie wohnt und zur Schule geht, so wie es ihr Vater angekündigt hatte. Er begleitet seine Tochter, wann immer möglich, um sie dann frei gewähren zu lassen. «Sie kann das selber», meint er.
Selbständig durchlief die Dreizehnjährige auch die Castings fürs «Platzspitzbaby». Unter 200 Mädchen stach sie heraus – obwohl sie von der Biografie von Michelle Halbheer, der Autorin von «Platzspitzbaby», noch nie gehört hatte, auch nicht von der offenen Drogenszene.
Geläufiger waren ihr die Rauschmittel, um die sich der Film dreht. Schon früher habe sie Abhängige gesehen, erzählt Mwezi, und sich dabei schlecht gefühlt, weil Drogen den Körper übernehmen – wie im Film, in dem sie mitspielt. Diese Erfahrung habe sie zusätzlich abgeschreckt. Wenn Gleichaltrige in der Schule rauchten, könne sie das überhaupt nicht nachvollziehen. «Die machen das nur, um cool zu sein. Das ist es aber nicht.»
Das Thema Drogen fasziniert sie auf andere Weise. Sie wolle Gerichtsmedizinerin werden, wenn es als Schauspielerin nicht klappt. Als Alternative kommt Sängerin in Frage. Mwezi singt den «Platzspitzbaby»-Titelsong.
Das Multitalent spricht von der Herausforderung, sich in eine Person hineinzuversetzen, um deren Gefühle zu vermitteln. Das habe ihr Mühe bereitet. Etwa in der Szene, in der Mia ihre Mutter Sandrine mit einer Überdosis findet. Das sei gewesen, als erlebe man es selber, erinnert sich Mwezi.
Ausschlaggebend, um mit der Schauspielerei zu beginnen, war der Film «Schellen-Ursli». Genauer: weil in einer Szene eine Lawine ins Tal krachte. «Ich dachte: ‹O mein Gott, wie ist das möglich?›» Dazu habe sie der Wolf fasziniert, der vorkam, sagt sie und lacht. Dies aber eher, weil sie generell ein Herz für Tiere habe.
Es ist der Moment, da Mwezi aufblüht, drauflosredet von ihren Haustieren, darunter eine Schlange, die sie liebe. «Das sind so schöne Tiere. Wie elegant sie kriechen!» Ihr Herz für Schlangen entdeckte sie mit sieben, als sie im Zoo Zürich eine Boa constrictor streichelte. «Sie war unglaublich weich.»
Kaum zu glauben, dass Mwezi eine Hundephobie hatte. Als sie klein war – «ein Baby», wie sie sagt –, habe sie ein Hund gebissen, weil sie ihn am Schwanz zog. Heute ist sie in die Vierbeiner vernarrt. Lieber sind ihr nur Pferde – «und Haie», wie sie euphorisch anfügt. «Die finde ich süss.» Vor allem, weil sie Glubschaugen hätten. Mwezi möchte unbedingt nach Südafrika, um in einem Käfig unter Haien zu schwimmen.
Sushi und Hühnereier
Der Tierfan ist jetzt kaum noch zu bremsen. Mwezi erzählt, wegen ihrer Tierliebe keine Lebewesen essen zu wollen – obwohl Sushi ihr Lieblingsessen sei. Sie bevorzugt die Rollen vegetarisch. Neben ökologischen seien es vor allem ethische Gründe: «Ich finde es unsympathisch, ein Tier zu töten, nur um es zu essen.»
Vegetarismus ist eines der politischen und gesellschaftlichen Themen, das die erst 13-Jährige beschäftigt. Hinzu kämen Sexismus, Homophobie und Rassismus, wie sie erklärt
Ihr Vorbild sei ihre ältere Schwester, die nächstes Jahr in Zürich ihr Studium anfange. Mit ihr sei sie an der «Black Lives Matter»-Demo gewesen, auch am Klima- und Frauenstreik sowie an der Gay Pride. Der Fall um George Floyd habe sie aufgewühlt. «Ich finde das dumm, diese police brutality.»
Mwezi wuchs zweisprachig auf und besucht die Sekundarschule. Sie erlebe keinen Rassismus, sagt sie. «Ich fühle mich nicht anders, das bin ich auch nicht. Es ist, wie wenn man ein weisses und ein braunes Hühnerei nimmt. Drinnen sind sie beide gleich.»