Als Kind wollte sie Prinzessin werden
In der Schule war Dzana Cehic eine Aussenseiterin. Heute ist sie die einflussreichste Influencerin der Schweizer Jugendlichen. Hunderttausende Teenies fragen die Kita-Praktikantin um Rat. Dass ihre Fans so in ihre Ratschläge vernarrt sind, überrascht die 16-Jährige selbst.
Veröffentlicht in Die Weltwoche, 11. Dezember 2019
Sonntagmorgen, eine Fahrstunde von Zürich entfernt. Schafe grasen vor einem Wohnblock, wo Dzana Cehic, 16, bereits im Türrahmen wartet. Schwarzes Top, gleichfarbige Hosen. Ihre Lippen und die noch voluminöseren Wimpern, die aufgeklebt sind, stechen ins Auge. Eine Stunde habe sie heute für ihr Styling gebraucht, sagt Cehic. Für sie sei das schnell, fügt sie an. Haare und Make-up können sonst gut zwei Stunden benötigen. «Alles soll so aussehen, wie ich mir das vorstelle», gesteht die «kleine Perfektionistin», wie sie sich selbst nennt.
Ihre Erscheinung bezeichnet sie als «Wochenend-Look» und wechselt zum Du: «Ich bin ja erst sechzehn.» Sie bittet ins Wohnzimmer, wo sie dann jeweils – am Samstag und Sonntag – ihre Bilder «shoote», die sie während der Woche über Social Media postet. Am Vorabend war sie noch auf Instagram zu sehen. «Sie ging live», heisst das, wenn jemand Einblick in Echtzeit gewährt. Sie trug einen weissen Kapuzenpullover, mit dem sie meist ihre Haare bedeckte, dazu runde Ohrringe, die so gross waren, dass sie bis zum Hals reichten. Dzana rauchte Schischa, sang Lieder und forderte ihre Community dazu auf, Fragen zu stellen. «Harte Schale, weicher Kern», habe sie verkörpern wollen. «Dzzyzzle» lautet ihr digitales Pseudonym – ihre «zweite Persönlichkeit».
650 000 Follower
Die Masche scheint erfolgreich zu sein: Auf Instagram erreicht Dzana 650 000 User. Über die Plattform Snapchat sehen pro Woche 1,2 Millionen Menschen, was sie alltäglich beschäftigt und wie sie – so nennt sie das – «Blödsinn» vor der Kamera macht. Hinzu kommen 142 000 Follower auf Tiktok, dem chinesischen Videonetzwerk. In einer Analyse des Uno-Kinderhilfswerks Unicef konnte von der gesamten Schweizer Influencer-Szene unter 21 Jahren niemand eine grössere Community als Dzana vorweisen. «Das sind die jüngsten Schweizer Meinungsmacher», stand über der Publikation. Dzana, die «nebenbei» Kita-Praktikantin ist, gilt als Einflussreichste ihrer Zunft.
Was heisst das? Dzana zückt ihr Handy. Sie sagt, wenn sie die «Push-Notifications» einstelle, die Benachrichtigungen auf dem Sperrbildschirm, dann stürze ihr Gerät ab. Teile sie ein Bild von sich auf Instagram, drückten 3000 Leute sofort den Herzchen-Knopf – «innerhalb von einer Minute». Ihr Handy überfordere das total, weiss sie. Ebenso, wenn sie ihre 650 000 Menschen grosse Instagram-Community – über 70 Prozent davon sind unter 24 Jahre alt – auffordert: «Ask questions», zu Deutsch: «Stellt Fragen.»
Sie nehme sich, so gut es gehe, Zeit, alle Fragen zu beantworten. Die drängendsten Themen veröffentliche sie mit ihren Ratschlä- gen. Von Fremdflirten («Verheimlichen geht gar nicht») über Sex mit dem Ex («Nein, nein, nein – es ist aus einem Grund der Ex») bis hin zu «Freundschaft zwischen Frau und Mann, ist das möglich?» («Für die einen klappt’s, für die anderen nicht») – die Themen gleichen sich. «Beziehungsfragen werden mir am meisten gestellt», sagt Dzana. «Soll ich eine Fernbeziehung eingehen? Oder: Ich wurde betrogen, was soll ich tun?» Viele der Jugendlichen beschäftigten zudem Selbstzweifel. Immer wieder poppten bei ihr Fragen zu Mobbing, Hass und Freundschaftsstreitigkeiten auf. «Menschen kommen, Menschen gehen», sagt Dzana kurz und trocken, die es sich mittlerweile in ihrem «Bubble-Chair» bequem gemacht hat, einem halboffenen Kugelstuhl, der im Wohnzimmer mit einer Stahlkette an der Decke befestigt ist. «Oft wollen meine Follower wissen, wieso ich mich so stark schminke und wie es ist, berühmt zu sein.»
Diese Woche war Dzana durchschnittlich fünf Stunden und fünfzehn Minuten täglich am Handy. Trotzdem schaffe sie es nicht, all ihren Followern gerecht zu werden. «Das ist unmöglich.» Dass ihre Fan-Gemeinde derart in ihre Ratschläge vernarrt ist, überrasche sie immer wieder. Es sei schon vorgekommen, dass ihr eine Mutter gesagt habe, sie wünsche sich eine Tochter wie sie.
Flair für Fashion
Weil sie minderjährig ist, sind ihre Eltern – beide bosnischer Herkunft – ebenfalls anwesend. Sie sitzen in Hördistanz am Esstisch. Ihre Mutter arbeitet Teilzeit in einer Industriefirma, daneben ist sie Hobby-Influencerin mit fast 15 000 Followern. Ihre Wimpern trägt sie mit noch mehr Volumen als ihre Tochter, die ihr wie aus dem Gesicht geschnitten ist. «So viele Follower wie meine Tochter, das muss ich nicht haben», findet sie. Dass Dzana dermassen beliebt ist, mache sie sehr stolz.
Er selber, wirft ihr Vater dazwischen, könne mit Social Media nicht viel anfangen. «Wenn ich mich so stylen würde, hätte ich auch über 600000 Follower», witzelt er. Er trägt eine Markenmütze und einen modischen Holzfällerbart, dessen Pflege morgens 45 Minuten benötige. Den Rummel, den es um seine Tochter gibt, ertrage er gerade noch, so sein Empfinden. Denn Dzana werde überall erkannt, «egal, wo wir hingehen», fügt er an. Daher wolle er unbedingt, dass der Wohnort geheim bleibe. Seine Tochter wolle er damit schützen, lautet seine Begründung. Er erzählt, es sei wie damals – Dzana war vierzehn –, als er sich wehrte, dass seine Tochter ständig ausgehe. Wenn, dann nur in Begleitung von Verwandten, sagte der Vater. «Sie war jung, und es gibt viele schlechte Jungs.» Sein Kompromissangebot lautete: Instagram statt Partys. «Ich bin also eigentlich daran schuld, dass Dzana Influencerin geworden ist.»
Dzana lächelt und schaukelt in ihrem Hängestuhl leicht vor und zurück. Wenn sie zurückdenkt, habe sie schon immer ein Flair für Fashion gehabt, meint sie. «Als Kind wollte ich Prinzessin werden.» Barbies habe sie geliebt, genauso wie die Farbe Pink. In der Schule mochte sie Englisch, «Mathi ging dafür gar nicht», wie sie einwirft. Ab der sechsten Klasse nahm sie Gesangsstunden, und sie singe noch heute überall: «Auf der Strasse, unter der Dusche, im Bus oder im Instagram-Livestream» – vor Tausenden fremden Menschen.
«Operationen verbiete ich – noch»
In der Oberstufe – sie besuchte die Realschule – habe sie alles Mögliche geschnuppert. In einer Kindertagesstätte habe sie gemerkt, dass Kleinkinder ihre Art lustig finden. Sofort gefiel ihr die Arbeit mit Kindern, weshalb sie sich als Praktikantin bewarb. Auf die Frage, was nun ihre Berufung sei, antwortet sie: «Das ist schwer zu sagen. Meinen Beruf mache ich ja erst seit wenigen Monaten. Bei Social Media weiss ich genau, wo meine Stärken liegen.»
Dzanas Online-Karriere begann vor Jahren, trotz ihrem jungen Alter. Mit zehn hatte sie ihr erstes «Notfall-Handy». Damit verschaffte sie sich zwei Jahre später «ein bisschen Berühmtheit», wie sie sagt. Nämlich über Ask.fm, ein anonymes Frage-und-Antwort-Portal im Internet. 150 000 Follower interessierten sich für Dzana. Wohl wegen «meiner frechen Sprüche», vermutet sie. Zeitgleich begann sie mit Snapchat, wo sie innert Kürze über 10 000 Zuschauer hatte. 2017 habe sie – «endlich» – als Vierzehnjährige mit Instagram beginnen dürfen.
Dort auf der Jugendplattform ergatterte sie sich schnell «15K» – Dzanas Abkürzung für 15000 Follower. Ihr Account sei darauf aber gehackt worden. Nie hätte sie gedacht, dass sie je wieder eine derart grosse Community erreiche. So sei sie überrascht gewesen, dass sie mit ihrem neuen Profil schlagartig wieder 70000 Leute vorweisen konnte. Wie das gekommen sei, sei ihr bis heute ein Rätsel. «Ich habe mich einfach geschminkt, schöne Bilder gemacht, sie hochgestellt, und irgendwie ist das gut angekommen», sagt sie. «Ich wüsste selber gerne, wie das ging.»
Richtig durch die Decke ging ihr Instagram-Profil, als ihre Bilder von Huda Beauty, einem der populärsten Beauty-Accounts mit 39 Millionen Followern, verbreitet wurden. Ihre Anhängerschaft wuchs auf 140 000 an, plötzlich waren es 230 000 Menschen. Heute zählt ihre Community 650 000, ohne dass sie sich je einen Follower gekauft habe, wie sie schwört. Mit ihrem Aufstieg zur einflussreichsten Schweizer Influencerin unter 21 seien ihr auch Produkte zugeschickt worden. Was mit Lippenstiften, Eye-Shadow-Paletten und Klamotten begann, führte bis hin zu Kontaktlinsen, falschen Wimpern und einem Zahnbleaching-Gerät. Momentan arbeitet sie an einer eigenen Modekollektion, künftig könne sie sich auch eine Beauty-Linie oder das Musikbusiness vorstellen. Bei der Frage, wie weit sie für das perfekte Aussehen gehen würde, interveniert ihr Vater vom Esstisch: «Das ist genau das, was ich nicht gut finde», zischt er. «Operationen verbiete ich», um zögerlich anzufügen: «Noch verbiete ich es, weil allzu lange kann ich ja nicht mehr.»
Der Zufluchtsort
Dzana, die bald volljährig wird, störe sich am «Buck» in ihrer Nase, wie sie sagt und mit ihrem Zeigefinger andeutet. Sie dreht den Kopf zur Seite, worauf eine minime Verformung sichtbar wird. «Eine Operation kann ich mir vorstellen», sagt sie. «Ich möchte eine Rutschi», womit sie ein flaches Nasenbein mit einer offenen Neigung zur Spitze hin meint. Das würde sie für sich und nicht der Berühmtheit wegen machen, betont sie. Dass sie so bekannt geworden sei, mache sie aber stolz.
Neulich, auf einem Deutsch-Rap-Konzert in Stuttgart, seien Zuschauer Schlange gestanden, um ein Foto mit ihr zu machen. Solche Momente geniesse sie. Das kompensiere den «Hate» – den Hass –, den sie abbekomme. Obschon sie die meisten bösen Nachrichten nicht zu Ende lese, sei sie immer wieder mit Beschimpfungen und Morddrohungen konfrontiert. «Heute perlt das an mir ab.»
Dzana erzählt, dass sie früh Gegenwind gespürt habe. In der Kindheit habe ihr Mobbing stark zugesetzt. Vom Kindergarten bis in die Oberstufen sei sie eine «krasse Aussenseiterin» gewesen. Sieben Jahre lang. «Ich habe oft geweint und wollte nicht mehr in die Schule», sagt sie. Damals habe sie alles ertragen, bis Instagram ihr Zufluchtsort wurde. Dort habe sie sich austauschen können, Anerkennung gefunden und sei verstanden worden. Ihre Mobber von einst kämen heute angekrochen, sagt Dzana zufrieden. «Nur weil sie wollen, was ich habe.»